KUNST .
UNSERER
ZEIT
EINE CHRONIK DES
L/A°DERNEN KUNSTLEBENS
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PURCHASED FOR THE
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
FROM THE
CANADA COUNCIL SPECML GRANT
FOR
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HISTORY OF ART
DIE
KUNST UNSERER ZEIT
DIE
KUNST UNSERER ZEIT
EINE CHRONIK
DBS
AODERNEN KUNSTLEBENS
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o XVI. °
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MÜNCHEN
FRANZ HANFSTAENGL
ALLE RECHTE VORBEHALTEN
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Bei. 11^
0. FRANZSCHE H. B. HOK-BUCHDRUCKEREI (O. EMIL MAYER), MÜNCHEN
Inhalts-Angabe
1905. II. HALBBAND
Literarischer Teil
F. 0. Franz von Defrejjj^er. Zu seinem 70. Geburts-
tage (30. April 1W5)
Seite
131
ScUe
Lehr, Fran z. Über die IX. internationale Kunst-
ausstellung 1905 in München 199
Spier, A. Franz von Lenbach . . 151
Vollbilder
Seile
Bouguereau, W. Frühling 251
Chabas, Paul. Bildnis des Fräulein S. M. . 243
Defregger, Franz von. Das letzte Aufgebot 134
— Andreas Hofers letzter Gang 135
— Das Tischgebet 138
— Vor dem Tanz 139
— Die Grünoberspieler 146
— Marei 147
Echtler, Adolf. Agonie 227
Fische r-Elpons, Georg. Hummer .... 206
Gaisser, Max. Fischer, auf die Flut wartend 230
Giron, Charles. Schwingfest im Berner
Oberland 231
Hierl-Deronco, Otto. Medja 226
Kaulbach, F. A. von. Geraldine Farrar . . 238
Kaulbach, Hermann. Maiandacht 242
Knopf, Hermann. Feierabend 239
Lenbach, Franz von. Prinzregent Luitpold
von Bayern 154
— Prinz Ludwig von Bayern 155
Lenbach, Franz von. Bismarck
~ Moltke
— Theodor Mommsen
— Franz Liszt
— Rudolf von Seitz
— Damenbildnis
— Lulu Heyse
— Karl von Piloty
— Allegorische Szene
— Josefine Lenbach
— Der Titusbogen in Rom ........
Meyer, Claus. Ein lieber Besuch
Schaefer, Phil. Otto. Cultura victrix . . .
Scholz, Richard. Hilde und Trudel . . .
Schönleber, Gustav. Brücke in Viareggio
Schuster-Woldan, Georg. Mädchenbildnis
Schuster-Woldan, Raffael. Das Leben .
Seiler, Karl. Siegesnachricht
Thor, Walter. Prinzregent Luitpold
von Bayern
Seite
158
159
162
166
167
174
175
186
187
194
195
222
214
223
203
215
250
207
202
T e X t b i 1 d e r
Seile
Arntzenius, Floris. Nach dem Regen . . 213
B a c r , F r i t z. Abend im Herbst (Schloss Bluten-
burg) 237
Blanche, Jacques E. Mädchen in Sommer-
toilette 249
Bios, Karl. Bildnis des Grafen von Moy . . 215
Bodenhausen, Kuno von. Leonore . . . 212
Breitner, George Hendrik. Strassenanlage
in Amsterdam 235
Canal, Gilbert von. Motiv an der Vecht . 225
Ciardi, Emma. Die Sänfte 238
Defregger, F. von. Franz von Defregger
in seinem Atelier 131
— Die Haserln 133
— Eingegangen . 135
— Die neue Armbrust 136
— Der Brief 137
— Klatsch 139
Seile
Defregger, Franz von. Die jungen Wilderer 140
— Plänkeln • 141
— Heimatlieder 142
— Anbetung der Hirten 143
— Die Geschichte vom heil. Nikolaus ... 146
— Waldlergeschichten 149
— Gefährlicher Besuch 205
Detaille, ßdouard. Kavallerie -Rekognos-
zierung 229
Devambez, Andr^. Der Angriff, Boulevard
Montmartre 219
Düll, Heinrich und Georg Pezold. Rot-
käppchen (Bekrönungsgruppc des Wolfs-
brunnens in München) 254
Eberle, Adolf. Jagdeifer 233
Estienne. Henry d". Das erste Schiff . . 224
Franzoni. Filippo. Lodano, Abend
(Tessiner Dorf) 236
Seite
Fuks, Alexander. Bildnis 207
Geffcken, Walter. Gruppenbildnis .... 233
Germela, Raimund. Am Strand von Ostende 223
Glücklich, Simon. Dame in Weiss .... 200
Gorter, Arnold Marc. Heideweg .... 238
Grässel, Franz. Enten 228
Hernandes Nagera, Miguel. Andalusierin 230
Holsöe, C. K. Interieur 230
Hudler, August. Dengler (Bronzierter Gips) 252
loanowitch, Paul. Bildnis der Frau von
Mierka 226
Israels, Jozel. Das stille Mütterchen . . . 243
Kalimorgen, Friedrich. Sonnenglanz
(Hamburger Hafen) 203
Kaulbach, Fritz August von. Einladungs-
karte zum Künstlerfest 1898 192
Klein, Philipp. Vor der Abreise 211
Klinkenberg, Karel. Brücke in Rotterdam 245
Kraus, Valentin. Unsere Erlösung .... 254
Kroyer, P. S. Weinlese in Tirol 228
Kurz, Erwin. Garbenbinderin (Gipsmodell) . 250
Küstner, Karl. Vorfrühling am Altrhein
(Motiv aus Rheinhessen) 209
Langh orst, Karl. Die Familie des Künstlers 224
La Touche, Gaston. Nachtfest 242
Laurens, Jean Paul. Das Vorzimmer
Monseigneurs 214
Lenbach, Franz von.
Villa Lenbach in München 151
Lenbach im Garten seines Münchener
Hauses 153
Estrade in Lenbachs Atelier 153
Vorraum von Lenbachs Atelier 154
Festsaal im Lenbachhause 155
Villa Lenbach in Starnberg 198
— Frau von Lenbach 157
— Gabriele Lenbach . . 157
— Arthur Schopenhauer 158
— Arnold Böcklin 159
— Werner von Siemens 161
— Hermann von Helmholtz 161
— Rudolf Virchow 162
— Gladstone und Döllinger 163
— Fürst Hohenlohe 165
— Wilhelm von Rümann 166
— Adolf Hengeler 167
— Georg Proebst 168
— Fritz Plank 168
— Frau N 169
— Lilian Sandcrson 169
— Königin von Neapel 170
— Frau Hedwig Dohm 170
— Der erste Versuch nach der Natur in Öl 171
— Porträt 172
— Mädchenkopf . . 173
— Lenbachs Vater 173
— Blinder Mann mit Kind 175
— Dorfstrassc (Aresing) 175
— Kopf eines Bauern 176
— Knecht und Magd vom Heimathofe des
Meisters 177
Seile
Lenbach, Franz von. Sonnenbad .... 178
— Der rote Schirm lyg
— Landleute vor einem Unwetter flüchtend 179
— Eselstudie igo
— Lenbach und seine Reisegesellschaft in
Ägypten (zwei Gruppenbilder) 181
— Flucht nach Ägypten 182
— Arnold Böcklin (Jugendbildnis) .... 185
— Adolf Wilbrandt 186
— Alois Hauser 187
— Albert Riegner 188
— Gruppenbildnis (im Hintergrunde Lenbach) 189
— Zehn Künstlerporträts 189
— Fische 190
— Huhn 191
— Lorenz Gedon |93
— Frau Therese Seidl 193
— Adolf Oberländer 194
— König Ludwig I. von Bayern 195
— Robert von Hornstein 1%
— Baronin von Hornstein 197
L^otard, Alice. Trio 235
Loghi, Kimon. Athenerin 218
Louyot, Edmund. Beim Fischverkauf . . . 232
Löwith, Wilhelm. Neuigkeiten 239
Martens, Willy. BildnisderGattindes Künstlers 244
Menzler, Wilhelm. Aus sonnigen jugend-
tagen 204
Meyerheim, Paul. Löwenpaar 234
Moreno Carbonero, Jos^. Wallfahrt nach
Rocio 248
Nonnenbruch, Max. Traumbild 222
Papperitz, Georg. Junge Mutter mit Kind 221
Petersen, Hans von. Das Wrack .... 240
Putz, Leo. Halbakt 200
Rink, Paul Philip. Hochzeit in Volendam 246
Ritzberger, Albert. Im kühlen Grunde. . 231
Rodin, Auguste. Der Denker (Bronze) . . 233
Rombaux, Egide. Die Satanstöchter (Gips-
gruppe) 250
Samberger, Leo. Bildnis des Dr. Schnitzler,
Köln 214
Schildt, Karl. Holsteinische Landschaft . . 247
Schildt, Martinus. Waschtag 210
Schutt, Heinrich. Gnomen 240
Seh mitzberger, Joseph. Morgendämmerung 242
Schräm, Alois Hans. Am Landungssteg . 209
Schramm -Zittau, Rudolf. Hühnerhof . . 247
Sinding, Otto. Lofoten 202
Steelink, Willem. Schafmarkt in Holland . 248
Stenberg, Emerik. Mädchen aus Dalekarlien 207
Strützel, Otto. Benediktenwand 199
Stuck, Franz. Kämpfende Faune (Relief). . 251
Thoma-Höfele, Karl. Stilleben 206
Thor, Walter. Damenbildnis 202
Urban, Hermann. Römischer Herbst ... 241
Veith, Eduard. Bildnis der Baronesse M. . 227
Weise, Robert. Dame in Schwarz . . . . 216
— Dämmerung 217
Ziegler, Karl. Bildnis der Frau Stutz . . . 201
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Franz von Dcfregjjer in seinem Atelier
Franz von Defregger
zu SEINEM 70. GEBURTSTAGE
30. APRIL 1905
Wer mit einigermassen gutem Gedächtnis sich an unser Kunstleben in den siebziger und
achtziger Jahren des abgelaufenen Jahrhunderts erinnert, der wird sich vielleicht manchmal mit
Staunen fragen, wo alle die vielen Genremaler geblieben sind, die damals, mittelbar oder un-
mittelbar aus der Pilotyschule hervorgegangen, die Welt in Entzücken versetzten. Es sind für
das Publikum wie für den Kunstmarkt nur recht wenige in Geltung geblieben, eine grosse Zahl ist
nahezu verschollen. Jene aber, die sich auch heute noch des alten Ruhmes erfreuen, sind just die,
♦) Es sei das Defrej{ger-Helt K. u. Zt. VI. Jahrgang Lfg. 7 in Erinnerung gebracht.
XVI 20
132 DIE KUNST UNSERER ZEIT
welche jene Blütezeit der deutschen und speziell der Münchener Genremalerei inauguriert haben.
Von den Nachempfindern, die, vom Erfolge ihrer Vorbilder verlockt, den beliebt gewordenen
Kunstzweig als Brotberuf ergriffen, sich nun die Köpfe zerbrachen nach anekdotischen Sujets und
Bauernidyllen h la Defregger, feuchtfröhliche Mönche wie Grützner, Buschklepper und Lands-
knechte wie Wilhelm Diez ausklügelten — von ihnen ist wenig mehr übrig. Es waren recht
geschickte Hände darunter — aber das macht's eben nicht aus! Wenn die Genremalerei nichts
anderes wäre als ein Brotberuf, den man nach Absolvierung einiger Natur- und Malklassen mit
dem entsprechenden Talentchen lernen könnte wie Jurisprudenz oder Philologie, dann stünde es
freilich schlimm um sie, dann hätten die recht, welche heute über die Achsel auf sie herabsehen
und sie neben der „rein künstlerischen" Malerei geringschätzig als ein Handwerk anschauen.
Sie haben aber nicht recht. Der echte Genremaler wird auch geboren, nicht erzogen, es gehören
ganz bestimmte und durchaus nicht häufige Eigenschaften dazu, eine ganz besondere Begabung,
zu beobachten, zu erfinden, zu charakterisieren und zu komponieren, lauter tiefer gehende
menschliche Eigenschaften, die nicht beliebig erworben werden können. So haben sich nun
auch hier die echten Talente bewährt und behauptet, die unechten, welche ausserdem auch noch
den ganzen Zweig der Malerei nach Kräften diskreditiert und geschädigt haben, sind unter-
gegangen. Nur einen kleinen Teil erhält noch das Interesse des Marktes und die Urteilslosigkeit
einer gewissen Klasse von Käufern. Wie überall in dem heissen Existenzkampf der Künstler
erweist sich auch da die Tatsache als fundamentales, ehernes Gesetz, dass der, der sich anders gibt,
als er ist, selber sein höchstes Künstlerrecht preisgibt. Im künstlerischen Schaffen gibt es keinen
beliebig spielenden freien Willen: der Echte muss! Seine Farben- und Formensprache, die
Stoffwahl und die Technik — alles dies folgt zwingendem, innerem Drange oder es ist keinen
Pfifferling wert. Man wählt nicht Landschaft, Genre oder Historie zum Beruf, wie der angehende
Rechtsbeflissene sich je nach den Aussichten für Gericht, Verwaltung oder Anwaltstand entscheidet.
Von den ehrlichen Künstlern wird der eine seine ausschliessliche Freude an den Wundern der Natur,
der andere an der liebenswürdigen Schilderung von Menschlichkeiten haben, einen dritten reizen
die Probleme des Lichts und der Farbe an sich, unabhängig vom Stoff. — Recht hat ein jeder
von ihnen, wenn er etwas mit persönlichem Ausdruck zu gestalten weiss!
In der vordersten Reihe — nein, doch wohl an der Spitze jener Genremaler, die nun im
dritten und vierten Jahrzehnt schon ihren Platz behaupten, steht Franz von Defregger, und viele
der ungezählten Freunde seiner nie gealterten Kunst werden es nur mit Erstaunen gehört haben,
dass dieser Mann schon siebzig Jahre alt werden soll. Er ist vielleicht der populärste deutsche
Maler, ist es heute noch und war es vor dreissig Jahren. Er hat sich nicht mit der Zeit ver-
ändert und ist doch nicht hinter ihr zurückgeblieben. Er hat immer geschaffen, wie er gemusst
hat, sich goldecht gegeben, wie er war, stark, schlicht, treu. Ganz gewiss gibt es keinen zweiten
Maler, dessen Kunst so unmittelbar in gesundem Volkstum wurzelt — was Wunder dann, wenn
er der volkstümlichste von allen blieb I Die gütevolle Liebenswürdigkeit seiner Natur, die ihm
alle Menschen zu Freunden macht, verklärt natürlich auch seine Werke, die, frei von Süsslichkeit,
DIE KUNST UNSERER ZEIT
133
Franz coii Dc/ici/i/fi: Die Haserln
ebenfalls so herzgewinnend liebenswürdig
sind. Wenn andere lächelnde rosige junge
Mädchengesichter malen, wie leicht wird
das Ganze so widerlich, dass ein Mensch
von Geschmack verärgert dem Bilde seinen
Rücken wendet! Vor Defreggers Tiroler
Mädels hat noch keinen verwandte Em-
pfindung angewandelt, auch wenn sie noch
so lenzfrisch und lustig lachen ! Denn diese
Heiterkeit und Anmut sind der Abglanz
einer sonnig klaren Künstlerseele und sind
nie gemacht, sondern wahr. Die erste und
höchste Signatur von Defreggers Kunst ist
eben die Wahrheit! Nicht im Sinne des
„konsequenten Naturalismus"! Defregger
hat sich ebensowenig jemals verpflichtet
gefühlt, jede Traurigkeit, Schmutzigkeit und
Hässlichkeit des Alltags abzuschreiben, als
er sein Bemühen darein setzte, jede feinste
Abschattung des Lichtes, jedes zarteste Spiel
der Farbe wiederzugeben, in seiner Malweise herrschen noch gerne die schweren braunen Schatten
der Pilotyschule, herrscht noch ihre Abneigung gegen die höchste Helligkeit, fehlt, ihren Traditionen
entsprechend, vielfach jenes feine, die Körper umspielende, Härten ausgleichende, Harmonie
ermittelnde Medium der Luft, das sich die neuere Malerei gewonnen hat. Aber das ändert nichts
an seiner künstlerischen Wahrhaftigkeit! Gerade weil er wahr ist, begnügt er sich mit den
malerischen Mitteln, die ihm von Anfang an vertraut sind und dem Ausdruck seines Empfindens
entsprechen, die, einfach, schlicht und herb, wie er selbst in seiner kernhaften Tiroler Bauern-
natur, vorzüglich geeignet sind, sein Heimatvolk so zu kennzeichnen, wie er es liebt und sieht.
Dabei fehlen ihm wahrhaftig auch die rein malerischen Qualitäten nicht und er hat Bilder, nament-
lich Charakterköpfe, genug gemalt, die neben dem Höchsten, was wir in Deutschland in dieser
Richtung haben, neben LeibI, in Ehren bestehen können. Defreggers seltene Wahrhaftigkeit zeigt
sich zunächst in der Abwesenheit jeder Pose und jeder Phrase auf seinen Bildern. Man muss sie
neben die schlechte Nachempfindung setzen, um zu erkennen, wie rein und unverzerrt in ihnen
das echte Leben sich spiegelt. Das Recht, sich aus diesem echten Leben das Freundliche und
Sympathische als Stoff auszuwählen, muss man dem Künstler freilich lassen. Wer dies für sich
in Anspruch nimmt, ist nicht mehr und nicht weniger wahr als der „Verist", der sein Werk zum
Spiegel des menschlichen Elends macht und in Spitälern, an Totenbetten und in Bettlerhütten
die Vorwürfe sucht, durch deren Behandlung er künstlerisch wirken will. Es kommt in beiden
134 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Fällen wieder nur darauf an, dass jeder wirklich dem Ausdruck leiht, was er sieht, er glaubt,
e r will !
Auf Defreggers Bildern aus dem Volksleben herrscht oft, ja fast immer, eine stille heitere
Sonntagsstimmung — die Grundstimmung seiner Natur. Und das engere Gebiet seiner Stoffwelt
entspricht dem. Tragisches hat ihn nur selten zum Werke begeistert, Peinliches nie. Sein Tiroler
Volk ist reich an Typen, wie sie das verzweifelt harte Leben in einem Lande schafft, das sich
den Ertrag des Bodens nur in mühseliger Arbeit entreissen lässt. Solcher Typen finden wir
auch auf seinen Bildern die Menge. Aber meist in Ruhe und Fröhlichkeit, nicht in der mitleid-
erweckenden Not und Qual jener Arbeit, jeder Kenner des Volkes weiss, dass ein so unver-
fälschter Sohn dieses Volkes auch so empfinden mussl In aller Volkskunst ist Feiertägliches, das
Selbstverständliche seiner Wochentagsplagen schreit das Volk nicht gerne in die Welt hinaus; viel-
leicht hängt das mit einer Art verfeinerten Schamgefühls zusammen, das auch bei den Derbsten
oft sehr empfindsam entwickelt ist. Und das Volk konzentriert auch alle seine Bedürfnisse nach
Schönheit, all sein Streben nach ihr auf den Feierabend, den Feiertag. Keine Arbeit, die ihm
am Werktag zu gering ist, kein Lumpen, der ihm als Werktagstracht zu schlicht scheint, wenn
er seinen Zweck erfüllt! Aber an Feiertagen will es Schönheit und Freude in seiner Art —
saure Wochen, frohe Feste! Da entwickelt es jene gediegene Pracht der Trachten, vor denen
wir Kulturmenschen in unseren Schwalbenschwänzen und Seidenroben uns schämen müssen, da
zieht es jene Gewänder an, die in so unglaublichem Grade Stil haben, Ausdruck seines Charakters
sind! Die Tiroler Trachten, die uns Defregger malt, haben diese schöne Eigenart noch kräftiger
als andere aufgeprägt. Man nehme nur die Etschtaler Tracht an, deren lachendes Rot-Grün-
Weiss von der Heiterkeit südlichen Sonnenscheins redet, deren knapper kleidsamer Zuschnitt sich
nur bei einem Volke ausbilden konnte, das gewohnt ist, steile Bergwege zu gehen! Oder die
ernsteren Pustertaler und Oberinntaler Volkstrachten und wieder andere vom Brenner, deren
uralter Zuschnitt verrät, wie wenig in diese Winkel das Treiben der modernen Welt noch Eingang
gefunden, die lustigeren, man möchte sagen leichtherziger aussehenden Trachten vom Unterinntal
und anderen Grenzgebieten nach Bayern zu ! Auf Defreggers Bildern können wir alle diese
Charakter- und stilvollen Bauerngewänder sehen und immer stecken die Menschen darin, die dazu
gehören und immer ist alles um diese herum wahr und wirklich, wie das, was sie treiben. Wie
himmelweit verschieden sind diese Gestalten von der Modellmaskerade, die uns so viele andere
Bauernmaler vorsetzen, und wie merkwürdig ist es im Grunde, dass es, so viele sich bemühen,
so wenigen glückt, das zu erreichen, was einem Defregger immer mühelos gelingt! Auch andere
studieren das Volk, leben die Sommer über in seiner Mitte und malen Dutzende von Studien
dabei — aber das Volk studieren heisst eben noch nicht mit dem Volke empfinden ! Was dem
einen geschenkt ist, kann der andere nicht im Schweisse seines Angesichtes erwerben; vor allem
nicht jene sonntäglich freundliche Weise, von der oben die Rede war. Gerade diejenigen, die am
Bauern nur Derbheit und Rauheit, nur grobes Empfinden und grobe Linien sehen, schauen ihn
so recht mit Städteraugen an, so viel sie sich auf ihren scharfen Blick zu gute tun mögen.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
I3b
Der Gegensatz ihrer eigenen Kultur oder Halbkultur trübt ihnen das Urteilsvermögen. Sie sind
genau so einseitig wie die künstlerischen Süssmaier und Salontiroler, nur nach der anderen Seite
hin. Wer die Romantik nicht spürt, die unserem Bauernvolk im Blute steckt, selbst dem rohesten
Burschen unseres bayerischen Flachlandes, der kennt weder das Volk noch das Wesen der
Fifiiiz roll Defrejußer. Eingegangen
Copyright 1P97 liy Kr-»ii/ M.lllfMJien);!
Romantik — diese ist nämlich ein Ding, das aus dem ständigen Verkehr mit der Natur ganz
von selbst und mit elementarer Notwendigkeit entsteht.
Kein Zweiter sieht so helläugig und feinfühlig wie Defregger alles, was am Tiroler
Bergvolk anziehend ist, wie es sein 'Liebeswerben poetisch verklärt und wie doch auch in
diesem wieder ein kerniges vollblütiges Wesen lebt, wie es sich sein Heim behaglich macht,
seine Kinder erzieht, wie diese Kinder wieder unter sich leben, wie es tanzt, singt und
zecht oder sonstwie seine überschüssige Lebenskraft austobt. Ein bisschen dünner gesät sind
ja wohl im wirklichen Tirol die schönen Dirndeln als in der Welt Defreggers, aber die
sittliche Forderung der künstlerischen Wahrheit verlangt doch wohl nicht, dass der Maler
136
DIE KUNST UNSERER ZEIT
an der Hand einer Statistik über hübsch und hässlich gewissenhaft etwa sechs ^schiache"
Dirndeln hinstelle, bis er sich den Luxus eines hübschen Mädels gestattet. So viel Welt-
verbesserer darf — oder soll ! — der Künstler schon sein, dass er die beklagenswerten
Unterlassungssünden der Schöpfung nach dieser Richtung so viel als möglich wieder gut macht !
Echt — wir müssen dies eine Wort, wenn von einem Defregger die Rede ist, ziemlich oft
wiederholen — echt sind die schönen Menschen, die er malt, wahrlich auch und ihr Typus wieder-
holt sich durchaus nicht in monotoner Weise. Im Gegenteil, es ist erstaunlich, wie viele
Schattierungen der Rasse und des Temperaments wir unter seinen hübschen Mädeln und Frauen
beobachten können. Noch mehr freilich unter seinen Männern: von den blonden, sehnigen
Germanen bis zu den wildrassigen schwarzhaarigen Typen des mit so viel romanischem Blut
durchsetzten Südens. Man wird freilich auch nicht leicht wo auf der Welt so mannigfach interessante
Charakterköpfe sehen wie in Tirol, wo die Natur des Bodens und glückliche Rassenmischung
zusammengearbeitet haben, um einen Menschenschlag von erfreulichem Stil hervorzubringen. Was
die Männer angeht, so braucht beim Tiroler Bauernschilderer die Statistik jedenfalls kein
Zugeständnis an die Schönheit zu machen, da ist auch in der Wirklichkeit ein Kopf lebendiger
und ausdrucksvoller als der andere.
Und der Maler liebt es, die kräftig
geschwungenen Profile, die klugen
scharfen Augen und vollen gesunden
Lippen seiner Landsleute recht kenn-
zeichnend zur Geltung zu bringen, und
gelegentlich stellt er sie mit gutmütig-
lokalpatriotischem Spott in bewussten,
boshaften Gegensatz zum Städtervolk
— Männer und Frauen ! Da kommen
die Stadtleute meist übel weg und
nehmen sich wie eine weitaus in-
feriore Rasse aus neben den kernhaften
Kindern der Berge. Freilich ist der
Maler dann auch stark „Partei" und
die Exemplare von Kulturmenschen,
die er zur Folie seiner Naturburschen
und Mädels nimmt, sind nicht immer
allererster Güte, wie der „Salon-
tiroler" oder der bebrillte Assessor
auf dem humorvollen Wirtshausstück
„Eingegangen", oder gar die Jammer-
Fiaiix n„i nrfrriinrr. Die neue Armbrust gestalt deS „NatUrforSChcrS", der Buf
«««■«»■•Sii-ii'^rL irf^vs -- ■¥r'\'r i^j>.e>--Ä^Ä«srr '■"-•i..r^'ieiM!^-_ji^-
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Franz von Defreffffer. Der Brief
138 DIE KUNST UNSERER ZEIT
dem bekannten Bilde der drallen Sennerin einen Trunk aus der Feldflasche kredenzt. Auch wenn
er relativ hübsche städtische Weiblichkeit in den ländlichen Kreis bringt, wie auf dem Bilde ^Gute
Aussicht" mit den eingeregneten Touristen, fällt der Vergleich immer noch mehr zu Gunsten der
bäuerischen Schönen aus, deren Erscheinung die zweifellos aristokratischere bleibt. Übrigens sind
die genannten Bilder Meisterstücke Defreggerscher Charakterisierungskunst, einer Kunst, die durch-
aus nicht mit groben Mitteln arbeitet und alles Karikaturistische sorgsam vermeidet. Der „Salon-
tiroler" mag in der Stadt ein ganz flotter Herr sein und manchem Putzmamsellchen, das
mindestens so hübsch ist wie die zwei kichernden Dirndln auf dem Bilde, beträchtlich imponieren.
Aber das Unechte an ihm, der Widerspruch zwischen Mann und Gewand, der Gegensatz zu der
freien und unbefangenen Art der Burschen, die zu ihren Kleidern passen und in ihnen sich
behaglich fühlen, macht ihn lächerlich in diesem feinpsychologischen Bilde. Ganz anders ist der
Gegensatz wieder gewonnen in dem späteren Werk „Eingegangen". Hier steht nicht der Gross-
stadtgeck der derben Urwüchsigkeit der Naturmenschen gegenüber, sondern der bleiche Stuben-
hocker muss sich's gefallen lassen, von den Bauern, die ja bekanntlich ihre körperliche
Überlegenheit sehr gerne auch für eine geistige nehmen, gehänselt und beim Kartenspielen herein-
gelegt zu werden. Der erwähnte „Naturforscher" ist natürlich „schon gar keiner" und die
spöttischen Blicke, welche die Sennerin mit dem stämmigen Bergführer wechselt, sprechen diese
Meinung genügend deutlich aus.
Wenn Defreggers Bauerndirndln auch oft „zum Anbeissen" appetitlich und bildsauber sind,
irgend etwas Maskiertes oder Geziertes ist nicht an ihnen, was wieder sehr stark absticht von der
meisten sonstigen Bauernmalerei. Er steckt keine beliebigen Dämchen in Bauernröcke, sondern
stämmige Töchter des Landes, deren Hände und kräftige Arme von flottem Zugreifen bei der
Arbeit reden, deren Körper fest und schwer auf den derben Hüften ruht. Sie sind gerade darum
schön, weil die ganze Erscheinung einheitlich ist, und würde man sich modische Toiletten um
ihre drallen Figuren denken, sie würden in ihrer Art als „Dorfdamen" ebenso grotesk erscheinen
wie jener Berliner in Lederhosen als Salontiroler. Das beweist, wie menschlich und künstlerisch
richtig sie gesehen sind ! Die anmutigsten Mädchen, die der Meister je verewigt hat, sind wohl
die beiden auf dem vielbewunderten Gemälde von 1880 „Sepps erster Brief", fleischgewordener
Frühling in ihrer heiteren Frische! Und wie überzeugend echt sind die beiden Bauernmädels doch
in all dem Liebreiz, den ihnen der Maler gegeben, wie unbefangen und gesund! Wer denkt da
noch an Modell und Kostüm, an ein Arrangement vor der Staffelei des Künstlers? In diesem Werke
hat Defregger das Beste festgehalten, was er von den Frauen seiner Rasse zu sagen wusste und
zugleich vielleicht auch das Beste, was er als Maler zu geben hatte. Wie gross die beiden Figuren
in dem verhältnismässig knappen Raum stehen, wie in allem Einzelnen Naturtreue und Gefälligkeit
verschwistert sind, z. B. in der Darstellung der vollen kraftstrotzenden Hände und Arme, der
Gewänder usw. ! Wir dürfen gewiss sagen, dass in diesem Bilde Defreggers ganzes Wesen seinen
höchsten typischen Ausdruck gefunden, dass dies kein Anderer je gemacht hat und kein Anderer
je machen wird ! Man kennt das schöne Wort Lenbachs, der einmal erklärte, das Geheimnis des
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Cnpjrrighl 1999 by Fmu M '
Franz ton Defregger, Klatsch
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XVI 21
140
DIK KUNST UNSERER ZEIT
künstlerischen Erfolges bestehe darin, dass jeder seine Kraft auf das konzentriere, was ihm allein
vor allen Anderen gegeben sei. Über seine Türe sollte jeder in goldnen Lettern schreiben: „Was
kannst Du, das kein Anderer kann?" Defregger hat, gleich seinem Freunde Lenbach, den er so
hoch verehrte, sein Leben lang diesem Grundsatze getreu gehandelt und nur aus derartiger freier
Beschränkung heraus ist ein solch harmonisches Auswachsen einer Persönlichkeit, ist das Schaffen
solcher Werke möglich, die rein konzentrierte Persönlichkeit sind ! Ein fast gleichwertiges Seitenstück
zu den obengenannten beiden Mädels ist ein anderes, 1885 gemaltes Bild „Zur Gesundheit", eine
Wirtshausszene. Aus dem Rahmen heraus blicken drei Burschen und zwei Dirndeln dem Beschauer
ins Auge und einer von den Burschen bringt ihm sein Schöpplein Roten zu. Auch hier ist jener
Zug ins Grosse zu bewundern, die fast monumentale Art, mit welcher glänzend gekennzeichnete
Repräsentanten eines Volktums da für immer als Typen festgesetzt sind, wie etwa die Trinker des
Velasquez und die Gestalten von Frans Hals. Unter den vielen, wohl in die Hunderte gehenden
Einzelköpfen von Männern und Frauen aus Defreggers Hand, die in alle Erdteile verstreut sein mögen,
sind nicht wenige, von denen Ahnliches gilt. Nur auf einen sei hingewiesen, auf den „Franzi" von
1881. Ein blonder Bauernbursche,
welcher, sein Tiroler Pfeifchen im
Mundwinkel, so lustig und klugaus
seinen lichten Augen guckt, dass
man ihm auf den ersten Anblick gut
sein muss! Aus diesem Gesicht
lacht der unbesiegbare Übermut
dessen, der weiss, dass ihm nichts
geschehen kann und nichts fehlen.
Karl Stieler, der zu vielen der
älteren Bilder Defreggers so
köstliche, innig mitempfindende
Strophen gedichtet hat"*) lässt den
fidelen Gesellen im Schnader-
hüpfelton singen :
Und gibt's harte Nüssen:
So hart san's nit g' macht,
I heiss Dir die Nüssen
Grad auf, dass all's kracht.
Ja's Leben is schön,
i hätt's selber nit denkt;
Mi hat's auf die lustige
Seiten hing'schlenkt!
FraHM VOH Defref/ger. Die junfjen Wilderer
•) ,Au8 der Hütten* und .Von Dahotm*.
In Bildern von F. Defregger, Dichtungen von
Karl Stieler.
München. Frana; Hantstaengis Kunstverlag.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
141
So ein Kerl ist der Franzi — man glaubt's dem Dichter aufs Wort! Das ist nur einer von
den Defreggerschen Charakterköpfen, deren Bedeutung weit über den Wert eines flotten Studien-
bildnisses hinausgeht. Er hat ihrer in der gleichen schlichten und festen Art noch gar viele auf
die Leinwand gebracht, lachende und finstere, gesunde und kraftvolle, verschmitzte und traurige,
.'opirHtcht 1901; by Franz Manteaenifl
Frattz von Defn-yyvr. Plänkeln
(OrlgtimlgemftUtf im Kealtxo <ler Mol-Kuu<itliau-lliii)|c A. KU-^iifr io Mnncliriil
wie auch in seinen weiblichen Köpfen die ganze Stufenleiter menschlicher Charaktere ihre Vertreterinnen
hat, von der herbtrutzigen Bauernwalküre bis zum durchtriebenen Schlankel oder der treuherzigen
Schelmin, wie die „Marei" eine sein mag in unserem Bilde. Vielleicht sind die Vorbilder
dieser Charakterstudien gar nicht alle aus den Bergen und hin und wieder haben sicher die
Züge eines Grossstadtmodells die Grundlage für solch ein Menschenbild abgegeben. Aber der
Maler hat ihnen dann immer aus Eigenem die Merkmale jenes Menschenstammes aufgeprägt, den
er, um ein volkstümliches Bild zu brauchen, kennt, wie seine Hosentasche! Seine Wahrheit heisst
ja nicht Abschreiben, sondern wahr Gestalten, wie schon gesagt wurde!
So macht es Defregger auch als Erzähler und man glaubt ihm immer. Im Leben sind
die Idyllen seltener als die stimmungslosen Momente, und im Bauernleben erst recht! Aber die
142
D\K KUNST UNSERER ZEIT
Idyllen, die er uns vorführt, wirken immer packend durch ihre innere Wahrheit, durch die ruhevolle
Schlichtheit des grossen Wurfes, der keine Theatralik kennt, und durch die vielen kleinen unauf-
dringlichen und doch so beredten Züge echten Lebens, die aus allen Details von Typus, Kleidung
und Haltung der Figuren, aus allen stummen Nebendingen zu uns reden. Auf die Haltung mag
ganz besonders hingewiesen sein!
Gerade das gehört zu dem Unerlern-
baren, was Defregger als Schilderer
des Volkes vor allen Anderen voraus,
was er eben eingeboren im Blute
hat. Die kraftvolle Gemessenheit und
plastische Ruhe, die alle Bewegungen
des straffen Naturmenschen auszeichnet,
die so oft was von feierlicher Würde
hat — wie kennt er die so gut! Wir
Stadtleute hasten und zappeln im
Grunde immer — der Bauer tritt sicher
auf, steht fest, sitzt mit bewusstem
Behagen, den selteneren Augenblick
körperlicher Ruhe voll ausgeniessend.
Alle Defreggerschen Figuren stehen
auch so fest und solide auf ihren
Füssen, wenn nicht gerade einer, wie
der blonde Loder in der „Ankunft auf
dem Tanzboden" vor Vergnügen zu
einem Luftsprung ansetzt. Wie vor-
nehm und lässig zugleich treten die
Paare „Vor dem Tanze" an (siehe die
Abbildung)! Der Bursche hat freilich
die Linke höchst ungebildet in der Hosentasche — und doch würde, auch was Vornehmheit
des Auftretens angeht, kein Vortänzer eines Hofballs neben ihm besonders gute Figur machen.
Eine Reihe solcher Tanzbodenbilder ist von Defreggers Staffelei gekommen, das früheste und
populärste vor mehr als dreissig Jahren: „Der Ball auf der Alm". In allen Techniken der Welt,
ist dies Werk vervielfältigt, in Holzschnitzerei und Galvanoplastik umgesetzt kann man es sehen,
im Süden und Norden schmückt es in allen Gestalten die Wände fröhlicher Menschenkinder
als Andenken an Tirol. Die Figur des Alten, der mit seinen steif gewordenen Gliedern zum
Gaudium der Versammlung einen Schuhplattler mit einer lebfrischen Dirne wagt, ist köstlichstes,
unmittelbares Leben und die Gestalt seiner lustigen Partnerin ebenso. Einen weiteren Ball
auf der Alm behandelt nicht minder urwüchsig „Der Winkeltanz" von 1892. Auf die Alm
lit t<f<-, hy l'r.iii/ llaitfstarngl
Franz voti Defregger. Heimatlieder
144 DIE KUNST UNSERER ZEIT
führt uns der Maler überhaupt gern in seinen Bildern und viele von deren besten spielen
da droben, wo es keine Sünde gibt und die Unbefangenheit und Freiheit eines schönen Ausnahme-
zustands, die innige Nachbarschaft mit der grossen Bergnatur die Menschen heiter und liebens-
würdig macht. Da ist eins der frischesten und feinsten Stücke das Bild „Holzknechte in der
Sennhütte" von 1880, das eine stämmige lachende Dirne im Kreuzfeuer der Blicke und Galanterien
von vier Holzknechten zeigt, da ist der „Abschied der Jäger von der Sennerin", bei dem auch
wieder ein weisshaariger Schwerenöter wie beim „Ball auf der Alm" die gelungene Hauptfigur
abgibt. Ein andermal kehren zwischen den Holzern und Jägern Malersleute bei der schmucken
Sennerin ein und es lässt sich nicht leugnen, dass Meister Defregger hier wieder den „Parteimann"
hervorkehrt: die Maler machen dann nämlich neben den Autochthonen durchaus nicht so schlechte
Figur, wie sonst die Stadtleute auf des Meisters Bildern, sondern sie sehen stattlich und sympathisch
aus und werden von der Schönen auf der Alm mit freundlicher Zuvorkommenheit behandelt.
Hier steckt das Mädel dem einen ein Sträusschen auf den Hut, dort tut sie dem andern
„g'schamig" aus der Feldflasche Bescheid und auch auf dem Bild „Die erste Studienreise" scheinen
die beiden blutjungen Akademiker, welche mit ein paar gleich jungen Mädeln halb keck, halb
verlegen anbandeln, durchaus nicht mit Abneigung empfangen zu werden. Die Perle in dieser
stattlichen Reihe Defreggerscher Almenidylle ist wohl das von 1875 mit dem Zither spielenden
Jäger und den zwei zuhörenden Dirndeln, ein Bild, das in seiner einfach natürlichen Komposition
die ganze Sennhüttenpoesie in nuce enthält, kräftig, gefällig und knapp, wie eins der Schnadahüpfeln
des jungen Jägers! Es ist so recht bezeichnend für Defreggers ganze Art im erzählenden Bilde,
für sein taktvolles Vermeiden jener Gesprächigkeit und Witzigkeit, welche uns so oft die Genre-
malerei unausstehlich macht und uns statt einer allgemein menschlich interessierenden Zustands-
schilderung eine mit breitem Behagen erzählte Anekdote vorsetzt. Dieser Vorzug Defreggers
hängt eben auch mit der schlichten Wahrhaftigkeit seiner Natur zusammen. Das Alltägliche macht
ihn nicht klein, wenn er es schildert, sondern er gewinnt dem Alltäglichen seine bleibende Bedeutung
ab. Gerade darum steht er als Genremaler so hoch. Auch wo er eine Erzählung mit vielen
Details und mit Aufwand der psychologischen Beobachtung gibt, bleibt die Hauptsache in seinem
Bilde das Kunstwerk und nicht die Erzählung, ist's ihm nicht um den kleinen Moment, sondern
um das Ganze zu tun, schildert er nicht eine beliebige Familienszene, sondern doch wieder ein
Volk, wie das auch Vautier in seinen besten Werken getan hat. Eine ganze Menge von Bildern
liefert hiefür die Belege. Zum Beispiel die klassische „Brautwerbung" von 1877. Wie spürt
man da den Sonntag im Bilde, die Atmosphäre bäuerlicher Vornehmheit in einem gutbegründeten
Tiroler Haushalt I Die mit unbefangener Ruhe den Werber und dessen dämlichen Sohn
musternde Hausmutter, hinter deren breiter Front sich kichernd die begehrte Jungfrau verbirgt,
ist ein Muster matronenhafter Würde und der pfiffige alte Bauer, der sich bemüht, durch joviale
Liebenswürdigkeit den bedenklichen Eindruck auszugleichen, den sein Tollpatsch von Sprössling
macht, ist keine weniger echte Gestalt aus dem Volke. Bis ins Kleinste von Gerät und Kleidern
ist diese meisterlich gemalte Arbeit auch ein bedeutsames Kulturbild. Mehr allgemein menschlich
DIE KUNST UNSERER ZEIT 145
genommen ist das Motiv in einem späteren Brautwerbungsbild, welches die Szene nach der er-
folgten Ablehnung durch das trutzige Mädel darstellt. Hier sind's kleine Leute, welche ihrem Kinde
zureden zu einer vorteilhaften Partie — sie aber mag halt nicht! Auf diesem Bilde ist ein Kopf
— die Mutter des abgewiesenen Freiers — der als besonders schlagende Probe von Defreggers
seltener Kunst gelten darf, ein Menschengesicht ohne jede Grimasse und doch so verblüffend wahr
als Spiegel einer bestimmten Empfindung darzustellen. Wie hart und böse der Ausdruck, wie
stechend der Blick der entrüsteten Mutter, die nicht begreifen kann, dass eine das Glück aus-
schlagen konnte, ihre Schwiegertochter zu werden ! Diese Fähigkeit zu charakterisieren, geht,
nebenbei gesagt, gegenwärtig in betrüblichem Grade verloren und die Schule, die sich als die
ausschliesslich moderne erklärt, tut unrecht daran, solche Kunst gering zu schätzen. Auf ihr ruht
zum guten Teile die innere Berechtigung des Genrebildes, und da, wo sie fehlt, nicht da, wo sie
mit Können und Geschmack geübt wird, verlässt die Genremalerei nur zu leicht das Gebiet des
Künstlerischen. Die tolle Meinung, dass der Maler kein Recht habe, seine Gestalten etwas sagen
zu lassen und selbst durch sie etwas zu sagen, wird bald abgehaust haben und man wird viel-
leicht eines schönen Tages bei einem Allerneuesten eine Fähigkeit mit lautem Geschrei wieder
„entdecken", die man bei unseren trefflichen Alten „vornehm ignoriert" hat. Zu Defreggers best-
charakterisierten Menschengesichtern gehört der bleiche, schwarzbärtige Wilderer, der vor ein
paar Jahren auch durch sein ungewohntes Format und das Fehlen alles erzählenden Beiwerks
Aufsehen erregte, gehören die Köpfe des streitenden Liebespaares im Dorfwirtshaus (1899). Kann
man die Mischung von Trotz und Schuldbewusstsein, wie sie aus dem einen, von flammender Wut
und Liebe, wie sie aus dem anderen der beiden Gesichter spricht, treffender zeichnen? In der
Gestalt dieses breitschulterigen Burschen, dem der kampfbereite Zorn jede Sehne seines Leibes
spannt, lebt was von elementarer Naturkraft.
Die Mehrzahl der Defreggerschen Lebensschilderungen ist, wie gesagt, freundlicher Art. und
mit unendlicher Liebe verherrlicht er besonders das friedliche Leben der Familie, das Glück
von Eltern und Kindern. Eins seiner frühen Bilder (von 1875) heisst „Der Besuch". Bei der
jungen Bäuerin, die ihren Erstgeborenen auf dem Arm trägt, sind ein paar Bäschen oder Schwestern
eingekehrt, welche das Wunderkind bestaunen. Der glückliche Vater steht stolz und strahlend
daneben. Ein andermal kommt der Vater von der Jagd nach Hause und die Mutter trägt ihm
das Kleinste mit seligem Lachen entgegen. Dann sitzt wieder die junge Mutter mit dem Liebling
scherzend neben der Wiege, es werden Geschichten erzählt im Familienkreise, die Zither wird
hervorgesucht, Spielzeug wird geschnitzt oder ausgebessert, die Suppe wird ausgeteilt, das
Tischgebet gesprochen, harmloses Kartenspiel und andere Kurzweil mit den Kleinen getrieben.
Man weiss, wie das Volk seine Kinder liebt, wie es oft in dieser Liebe alles Weiche und Gute,
was in ihm lebt, erschöpft, wie den Geplagtesten doch für die Kinder keine Plage zu gross und
zu opfervoll ist. Und das kommt in vielen Werken Defreggers gar liebenswürdig zum Ausdruck.
Ein Lieblingsmotiv ist ihm auch die Heimkehr des grossen Sohnes, der beim Militär — als Tiroler
bei den Kaiserjägern! — dient, im Urlaub, die Einkehr lustiger Basen und Freundinnen am Feiertag.
146
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Wo die Menschen gut sind und sich gern haben, beobachtet er sie am liebsten. Auch aus seinem
eigenen Heim hat der Künstler eine ganze Serie von Kinderbildnissen gemalt, die man zu
dem Liebenswürdigsten, was er geschaffen hat, zählen darf und welche diese Eigenschaft doppelt
haben wegen der rührenden Anspruchslosigkeit, mit der sie gegeben sind. So malte er 1879
Franz loii /Je/iff/i/ci. Die Ucschichte vom lieil. Nikolaus
seinen Sohn als etwa sechsjährigen Jungen, wie er in ganz echter Tiroler Tracht, die Linke in die
Tasche des Lederhöschens gesteckt, vor der Türe einer Almhütte steht. Im Hintergrunde sieht ein
bausbäckiges Kleineres aus dem Hüttendunkel heraus. Dann reitet wieder einer der Jungen auf
einem rohgezimmerten Holzpferdchen, oder er ist in seiner Münchener Kinderstube dargestellt mit
Peitsche und Wagen oder im Schlafe belauscht. Einmal hat Defregger in einem lebensgrossen
Kinderköpfchen auch eines seiner Meisterwerke geliefert, das in einer Münchener Ausstellung mitten
unter den interessantesten Werken von Künstlern aller Länder allgemeine Bewunderung hervorrief
wegen malerischer Feinheiten, wie sie auch Defregger noch selten gab. Nicht wenige Bilder zeigen
Kinder unter sich. Voll reizender DrAlerie ist „Das Spielzeug" (1881): drei Kinder, die es mit einem
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Marei
DIE KUNST UNSERER ZEIT 147
primitiv geschnitzten hölzernen Storch zu tun haben, und „Der junge Hund", der einen armen
kleinen Buben in elender Hütte stillvergnügt mit einem undefinierbaren Köterchen spielend
zeigt, oder „Der kranke Dackel" : vier Geschwister fahren den offenbar schwer erkrankten vier-
beinigen Freund in ihrem kleinen Spielwagen zum Viehdoktor. Unter den Bildern dieses Heftes
gehören „Die Haserln", „Die neue Armbrust" und „Die Geschichte vom heiligen Nikolaus" in
diese anziehende Kategorie und Proben solcher Art durften hier nicht fehlen. Wie einer zu den
Kindern steht, das ist unendlich belangreich für die Frage, wie er als Mensch empfindet, und die
Antwort lautet bei Franz Defregger sympathisch genug I Er sieht an den Menschen in jeder
Form und Entwicklungsstufe das Gute, wie es freilich bei einem Mann, dessen kindliche Freund-
lichkeit und Herzenswärme so allgemein bekannt, nicht anders zu erwarten ist. Neben der
Wahrheit ist Güte die markanteste Eigenschaft dieses Mannes, dessen Kunst so ausschliess-
lich da ist zu erfreuen und zu erheben. Übrigens ist der tiefe Einblick in die Kinderseele seitens
eines Malers, der das Volk in seinen innersten Regungen genau und scharf beobachtet hat,
fast selbstverständlich. Volk und Kind — das deckt sich in seinem Wesen ja merkwürdig! Ganz
besonders, wo es sich um freundliche Veranlassungen, um Spiel und Fröhlichsein handelt! Die
Kleinen machen die Grossen nach und die Grossen werden in Spieleifer und Lustbarkeit, in ihrer
Feierabendstimmung wie die Kleinen. Dieses harmlose Fröhlichsein des Volkes unter sich hat
Defregger den Anlass zu ungezählten Bildern gegeben, die teils am Sonntag in der Stube oder
im Wirtshaus, teils am Abend auf der Bank vor der Haustüre spielen, oder sonstwo, wo man
zusammenkommt zum Plaudern, Necken und wohl auch zum Liebeln. Von den Tanzbodenbildern
war schon die Rede. Im Jahre 1888 brachte der Maler solch ein besonders ansprechendes Feier-
abendstück heraus, das er später noch einmal variiert hat; es heisst auch „Feierabend" : vor und
in einer primitiven, halboffenen Hütte, wie sie hier und dort für Almarbeiter als Küche und
Schutzdach aufgeschlagen wird, sitzen, liegen und stehen Burschen und Mädel und hören, während
eine Alte den Sterz fertig kocht, den Schnurren eines alten Jägers zu. Man sieht es ihnen an,
wie wohl einem jeden nach der Arbeit die Rast tut, in jedem Körper ist Ruhe und das Behagen der
Ermüdung ausgedrückt ! In der zweiten Variante des Bildes lauschen die ausruhenden Arbeiter
mit den Mienen aufmerksamen Staunens einem Vortrag des „Dorfgenies", eines halbwüchsigen
Buben, der die Harmonika spielt. Zwei prachtvolle ältere Bilder, in welchen der Meister das
Volk bei solchen Äusserungen überschüssiger Kraft beobachtet, die der Kulturmensch Sport
nennt, sind „Ringkampf in Tirol" und „Die Faustschieber". Das erstere, mit vielen Figuren,
ist in seinem Halbdunkel überraschend malerisch behandelt und die zwei sehnigen Gestalten der
Burschen, welche eben daran sind, sich zum Ringkampf zu packen, sind voll lodernden inneren
Lebens. Aber auch unter den dritthalb Dutzend Zuschauern, welche voll Interesse dem aufregenden
Kampfe folgen. Alten und jungen, ist nicht eine Figur, die nichts sagte, und das Ganze wurde so
zu einem wertvollen Kulturbild, einem menschlichen Dokument, das seine Ehrfurcht verlangt, wie
jede Äusserung gesunder Volkskraft. Geschlossener komponiert, weniger figurenreich sind die
1878 gemalten ..Faustschieber". Ein Bauer und ein ländlicher Handwerksmann, wohl der Schmied
XVI 22
148 DIE KUNST UNSERER ZEIT
des Dorfes, wetteifern im Wirtsliaus, wer mit seiner Faust die Faust des Gegners von der Tisch-
platte herunterschieben könne. Eine kleine Korona von Zuschauern und Zuschauerinnen sieht zu,
scheint hier aber, dem friedlicheren Wesen dieses Wettstreites entsprechend, weniger erregt, als
dort die Zuschauer des Ringkampfes sind, in seiner Raumökonomie ist das Bild ebenso bewun-
dernswert wie in seinen Typen. Vor wenigen Jahren (1898) war „Die Kraftprobe" im Münchener
Glaspalast ausgestellt, eine Gruppe wetteifernder Dorfathleten, die ihre Muskelstärke im Heben
eines schweren Steines messen. Prachtvolle Kerle alle miteinander, von dem herkulischen Burschen
an, der eben den Stein lupft, bis zu den mehr und minder interessierten Zuschauern.
Auch hier, wie in allen Defreggerschen Massenszenen, keine Figur, die ganz gleichgültig wäre.
Der Maler hat so viele und mannigfaltige Exemplare vom Ebenbild Gottes und dessen spezieller
Tiroler Spielart in seinen Mappen wie im Gemerk, dass es ihm nicht schwer wird, auch im
grössten Menschengewimmel jedem sein Stück persönlicher Charakteristik mitzugeben. Das zeigte
er schon in seinen früheren Bildern, wie in der lebenswahren Dorfszene „Das Preispferd" von IÖ73,
und man beobachtet es noch an späten Werken, wie der figurenreichen, 1901 gemalten
„Wallfahrt." Die grösste Kunst aber, Massen aufzubieten und dabei die Einzelnen meisterhaft zu
kennzeichnen, bewies der Meister in der berühmten Reihe hervorragender Bilder, deren Motive
dem Tiroler Aufstand von 1809 entnommen sind.
Die Geschichtsmalerei Defreggers steht in starkem Gegensatze zu der meisten sonst üblichen
„Historie". Wie seine ganze übrige Darstellung ist sie aus echtem Volkstum herausgewachsen,
leidenschaftliches Lieben und Hassen glüht in ihr, jede Gestalt ist ein lebendiger Mensch und
irgend ein lebendiger Mensch hat auch für sie zum Vorbild gedient. Die Erinnerung an die
Kämpfe um die Freiheit Tirols ist noch heute mit dem ganzen Denken und Trachten des Volkes
verwoben, noch wandeln die Enkel jener Helden unter den Lebendigen. So ist es unmittelbare
Wirklichkeit, was uns Defregger zu geben hat, während der Historiker sonst mit kühlster Objek-
tivität seinem Stoffe gegenübersteht, seine Gestalten auf Grund von Urkunden konstruieren, seine
Requisiten aus Rumpelkammern zusammensuchen und seine Empfindungen nach dem Wunsche des
Auftraggebers modeln muss. Gerade die stärksten Temperamentsäusserungen Defreggers haben
wir in etlichen seiner Historienbilder vor uns, während sonst die Werke der grossen Historie
meistens im Banne des Zwanges oder doch einer bestimmten, oft ausserhalb der Kunst liegenden
Absicht entstehen. Und diese besten Historienbilder Defreggers liegen in derselben Linie wie seine
übrigen Werke, sind eigentlich nur der gesteigerte Ausdruck der Vorzüge und Eigentümlichkeiten,
welche diese auszeichnen. Alles Offizielle und Akademische fehlt ihnen. Unter den Werken
unserer allergrössten Meister, einen Menzel vielleicht ausgenommen, lassen die eigentlichen Historien-
bilder unser Herz am kältesten, ein fremdes Element ist dazwischen. Defreggers „Letztes Aufgebot"
und „Heimkehr der Sieger" packen uns noch mehr als alles andere, was er gemalt. Als er sie
schuf, ist er womöglich mit noch heisserem Herzen bei der Sache gewesen. Was steckt da alles
drinnen an Erlebnis und an Gedanken ! Man möchte sie analysieren, wie Lichtenberg seinen
Hogarth analysiert hat, und würde ein Epos aus jedem Bilde machen. Von jener heimkehrenden
DIE KUNST UNSERER ZEIT
149
Friiiiz iiiH hefreiiycr. VValdlergeschiclUen
Sieger Gesichtern erzählt jedes wieder von anderen Taten und Gefühlen. Dem jauchzenden und
tanzenden Fahnenträger war die ganze Geschichte ein Spass; er liess seine Büchse auf die
Franzosen und Bayern knallen, wie vordem auf Hirsche und Gamseln, und bringt seine Sieges-
freude nach Hause, wie sonst wohl einen Becher vom Schützenfest. Des prächtigen Gesellen
Gesicht, der die Schar als Hauptmann führt, ist finster und hart. Ahnt er, wie kurz der Jubel
dauern wird, oder ist ihm die Freude am Sieg in Blut und Grausen erstickt worden? Starr und
stumpf und müde stapft der Trommler nebenher. — Jeder ein anderer I Und jeder fesselt uns
irgendwie! Ebenso im „Letzen Aufgebot". Der Anblick dieser Schar ausziehender Greise ergreift
viel tiefer als alle gemalten, blutigen Schlachtengreuel. Das sind die letzten, die das Volk her-
zugeben hat fürs Vaterland ....
„Sie san wie'r a Wald
Voll verwetterte Baam,
So ziahg'ns dahin — —
Da kimmt Koaner mehr hoam!"
So singt Karl Stieler zu des Freundes Bild. — Ein prächtiges Stück Leben, auch ohne die
historische Beziehung, ist das schon 1869 gemalte allererste der Defreggerschen Geschichtsbilder
150 DIE KUNST UNSERER ZEIT
„Speckbacher und sein Sohn Anderl" mit der besonders anziehenden lebenswahren Gruppe des
schmunzelnden alten Gebirgsschützen, welcher den zwölfjährigen Heldenjungen zu dessen Vater
bringt. In allen diesen Bildern brauchte der Maler seine Leute in kein fremdes Gewand zu kleiden,
in keine feierliche Pose zu bringen — er schilderte einfach Menschen von gleichem Fleisch und
Blut, wie es die Gestalten seiner Tanzboden- und Almbilder haben. So blieben sie ihm vertraut
und den anderen lebendig. Bei der Schöpfung seiner Andreas Hofer- Bilder „Hofer in der Hofburg
zu Innsbruck" und „Andreas Hofers letzter Gang" musste er schon mehr zu den Mitteln der
Geschichtsmalerei greifen, unmittelbar aus dem Leben schöpfen Hessen sich diese Stoffe nicht mehr.
So kam in das letztere Bild doch etwas von Pathos und schöner Gebärde hinein, wenn auch in
der Ausführung jede Linie von der markigen Kraft und dem reinen Willen des Meisters zeugt.
Der „Hofer in Innsbruck" ist schon wieder viel frischer, natürlicher und farbiger; wenn auch
nicht die Situation — die Menschen dieses Bildes sind eben gesehen! So ist es auch mit
„Speckbachers Aufruf", dem „Kriegsrat 1809" und jener kraftvoll konzipierten Szene in der
Bergschmiede „Vor dem Aufstande 1809". Das waren durchweg Aufgaben, die Defreggers
redlichem Wirklichkeitssinn entsprachen, einem Gefühl, das er betätigen können muss, wenn er
frei und aus dem Vollen schaffen soll. Es war sicher ein Unrecht gegen seinen Genius, als ihm
der Auftrag wurde, die Tat eines unwirklichen, phantasiegeborenen oder jedenfalls doch mit nebel-
haftem Mythus umkleideten Helden wie des Schmiedes von Kochel für die Münchener Neue Pinakothek
zu verherrlichen. Den Hofer kannte der Tiroler Meister, als hätte er ihn von Angesicht geschaut,
und auf seinen Bildern ist jener eine lebenswarme Gestalt. Der sagenhafte Hüne, Schmied Balthes,
hat auch auf Defreggers Bild etwas Abstraktes, etwas Gewaltsames. Das Ist wohl kein Tadel,
vielmehr dient es wieder dazu, die lautere Ganzheit und Wahrhaftigkeit dieser Künstlernatur zu
beleuchten. Es ist fürwahr genug, wenn einer auf seinem eigenen Gebiete dass Grosse vermag,
wenn einer in dem vollendet ist, „was kein anderer kann!"
So es sich hier um eine erschöpfende Würdigung Franz von Defreggers handelte, es
wäre noch gar manches zu sagen über die anspruchslose kindliche Innigkeit seiner wenigen
religiösen Bilder, die eben auch so recht aus der gläubigen Andacht des Volkes entstanden und
für das Volk gemacht sind, über die kernig schlichte Art seiner Bildnisse, welche ganz frei sind
von jeder verstimmenden Absichtlichkeit und darum oft so packend lebenstreu, wie z. B. ein paar
Selbstporträts und das Bildnis Lenbachs. Aber es hat sich hier nur um einen kurzen Rückblick
auf das Schaffen und die Eigenart des Meisters gehandelt, dessen siebzigstes Wiegenfest ein
Volksstamm und zwei Nationen, Deutschland und Österreich, mit liebevoller Freude feiern. Es
sollte nur wieder einmal auf die Mannes- und Malertugend eines starken, reinen und warmherzigen
Künstlers hingewiesen werden, dessen ganzes Wesen Wahrheit und Harmonie ist und den wir darum
nicht nur um sein Werk, sondern auch als erhebendes und erzieherisches Vorbild lieben und
feiern dürfen. Ist dies gelungen, so ist auch der Zweck dieser Zeilen erreicht! F. 0.
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Villa Lenbach In München
Franz von Lenbach
VON
A. SPIER
Er lebt ! Seine Zeugen sind da, die diese Wahrheit beweisen !
An einem Maientage trugen sie ihn zu Grabe, die Künstler, denen er ein Einziger war
und ein Einziger bleiben wird. Mit königlicher Pracht verhüllten sie die Grausamkeit des Todes.
Unter Rosen und Lorbeer, unter Fackelglanz und Trauerklängen bestatteten sie den Grossen,
Königlichen , der die Erde so schön fand und so innig liebte. Die Menge, die ihn auf dem
letzten Erdenwege nach dem einsamen Moosacher Friedhof begleitete, sie wurde von dem
starken Ahnungsvermögen berührt, das ihre Seele zu sein scheint, sie fühlte, da wird die Trauerfeier
der Klage um ein allgemeines edles Gut gerecht, um das Gut einer Persönlichkeit, die der Menschheit
angehört, wie ein kostbares Fideikommiss, das jedem das Erträgnis gibt, das er zu erkennen,
zu nehmen im stände ist.
Stolz und Dankbarkeit mischten sich in die Trauer um Franz von Lenbach, der
kindliche Stolz, dass er in der grossen Familie der Heimat geworden war, — Dankbarkeit, dass er
ihr anhing mit der echten Familienliebe, die nicht viel schöne Worte macht, aber keine Kraft-
anstrengung scheut, wenn ihr Wohl in Frage kommt. Wie Eugen von Stieler an seinem Grabe
sagte: „Wo immer in Stadt und Land es galt, ein künstlerisches Interesse zu wahren, da stand
er in der ersten Reihe der Kämpfenden, ein getreuer Eckart der Münchener Kunst." So empfand
ihn die Menge, das Volk als verwandt und zugehörig, als ihren Mittler zwischen ihr und den Grossen,
als den, der emporgestiegen war, aus eigener Kraft, auf der unsichtbaren Freitreppe, die das
Genie sich spielend baut, das Genie, das immer wieder alle Rangbarrikaden überfliegt, alle
Äusserlichkeiten in ihrer Nichtigkeit zeigt, immer wieder die grosse Bergpredigt, den Preis der
Innenwerte verstärkt, erneut, — das Genie, das einfach ist und gut, alles Menschliche frei empfindet
XVI 23
152 DIE KUNST UNSERER ZEIT
und frei übt, alles Menschliche beschützen möchte, weil es klar erkennt, dass auch seine Macht
eine Gnadengabe der Natur ist, weil es eine Dankesschuld empfindet, die es den Machtlosen
abträgt.
Unter den mächtigen Klängen, die Siegfrieds Tod begleiten, betteten sie ihn in die schöne Erde,
die er so innig liebte, deren möglichen Untergang er sich mit Grausen ausdachte, deren unerbittliche
Vergänglichkeitsgesetze er furchtbar fand. Und so weit menschliche Erkenntnis Zukunftsrechnungen
wagen darf, er zählt zu den Auserwählten, die die Vergänglichkeitsgesetze überwinden, er wird
nicht in die Gesamtheit aufgelöst, er bleibt als Einziger bestehen, er lebt!
Alle, zu denen seine Kunst spricht, wissen es! Alle, die seine Kunst lieben, beschwören es:
er lebt! Es sind die, die das Flammende, das Urlebendige, das Wahre in der Kunst sehen, das,
was als geheimste und köstlichste Macht die schöpferische Persönlichkeit der geschickten Hand mitteilt,
das, was den Farben, der Technik, dem greifbar Irdischen das ewige Leben gibt. Dieses ewige Leben,
das der kühle Verstand leugnet, weil er es nicht sehen kann, das sich nur dem Gefühl offenbart, es
leuchtet in der Kunst Franz von Lenbachs, es leuchtet aus Hunderten von Augen, aus den lachenden
Augen seines jungen Kindes, das nur die Sonne dieser Welt sieht, aus den forschenden Augen
des alten Gelehrten, der durch die Katakomben der Geschichte erkennend ging, aus den Augen
der erobernden Naturforscher, wie aus den Augen der erobernden Frauen, es leuchtet aus jedem
Menschenangesicht, das er malte. Eine Kunst reicht immer so tief, als die Persönlichkeit ist, die
sie schuf. Nur an Lenbachs Persönlichkeit ist die Tiefe seiner Kunst zu ermessen. Nur ein
verwandtes Sehen, Fühlen, Erkennen wird ganz in sie eindringen, unter dem Gesetz: „Einem
Lenbach in die Augen schauen!"
Die Münchener Künstlerschaft ist es, die sich zu der Tat verband, zu diesem Schauen
die reichste Gelegenheit zu geben. Dem Andenken Franz von Lenbachs, ihm allein, gilt
die Ausstellung, von der das Vorwort des Katalogs sagt: „An dreihundert Werke Franz
von Lenbachs sind in der Sammlung vereinigt; eine Zahl — reich genug, die Arbeit eines
Menschenlebens auszufüllen. Und doch ein kleiner Teil nur seines Lebenswerkes, das, in
alle Welt verstreut, treu verwahrt und sorgsam gehütet wird von der Liebe der Familien und
den Pflegern der Museen. Seine Kunstgenossen trugen diese Werke zusammen als Zeichen der
Verehrung für den Toten, damit jeder erkenne, welch ein Grosser uns verloren ging." —
In dem imposanten Kunstausstellungsgebäude am Königsplatz, in dem griechischen Teil
Münchens, hängt dieser zusammengetragene Schatz von nahezu 300 Gemälden an den Wänden.
Diesen Lenbachs in die Augen zu schauen, heisst : eine bunte grosse Welt von Menschen in dem
harmonischen, schönen Wahrheitsspiegel echter Kunst, heisst ein grosses Stück Geschichte, aus
der Kultur, aus der Politik, aus dem vollen Menschenleben, heisst Franz von Lenbach selbst
sehen. An der Reihe dieser Bilder kann man von ihm geführt durch sein Leben gehen und das
heisst: durch sein Schaffen gehen. In seinem unmittelbaren Schaffen ist sein ganzes Wesen, seine
Bescheidenheit und seine Souveränität, sein Gefühl und sein Geist, sein Humor und seine Kritik
enthalten, sein malerisches Können ist das Instrument, mit dem er herrscherstark jeder Ausdrucks-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
153
Lenbach im Garten seines
Münchener Hauses
weise fähig ist, es ist die Sprache, mit der er seine Geschichte
schrieb, mit der er seine Unsterblichkeit ermalte!
Bei einem nicht prüfenden, nur schauenden Gang durch
diese Ausstellung, die einzig in ihrer Art ist, kommt die Ein-
heit der Kunst Franz von Lenbachs zur stärksten Geltung. Kein
Bild fällt aus dem grossen Schönheitsakkord, da ist im Grund
keine Geschmacksabirrung, kein Schwanken. Auf den Bestand
dieser Einheit ist in dieser Ausstellung die Feuerprobe gemacht,
denn sie bringt Werke aus jeder Entwicklungsphase Franz von
||UH|, ' ^ttSjjSfiHK Lenbachs, legt sogar Nachdruck auf solche, die der natura-
"^""^^""^ "" '^Ü^^^^K^H listischen Richtung unserer jüngeren Gegenwart Ja zu sagen
scheinen und konnte als Erweiterung des Anschauungsbildes
ganze Gruppen von Gemälden, die den Reichtum der Akkorde
von Lenbachs Farbenschönheitssinn mehren, nicht bringen. So
sind die Gemälde der sogenannten „schönen Frauen", die so
bedeutsam und beredt für Lenbachs Schaffen sind, in der Minderzahl vertreten. Dennoch ist die
Einheit, dieser Beweis der Reichsunmittelbarkeit einer Kunst da, wirksam, wohltuend, mächtig!
er lebt!
Er lebt in allem, was für ihn in dieser Ausstellung geschah, selbst in den äusserlichen
Dingen, die in der Kunst an Bedeutung zu innerlichen werden, ist seines Geistes ein Hauch zu
verspüren. Die Tapeten sind in den Tönen gewählt, die er billigen würde, die Ausstellungsräume
sind mit schönen Truhen, Sesseln,
Kunstwerken wohnlicher ein-
gerichtet, mit all diesen Mitteln ist
den unläugbaren Gefahren einer
Gemäldeausstellung entgegen-
gearbeitet. Lenbach fürchtete die
Massenansammlung von nicht
zusammenstimmenden Bildern,
das Nebeneinander, das Zuviel,
die Unmöglichkeit, einem Bilde
das rechte Licht, die rechte Um-
gebung, die rechte Stille geben
zu können. ,,Die Durchschnitts-
ausstellungen von heute sind
Bilderbegräbnisse", sagte er oft,
,, manchmal dritter, manchmal
zweiter Klasse, aber Begräbnisse".
Estrade in Lenbachs Atelier
154
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Die Lenbachausstellung am Königsplatze, sie würde er kein Begräbnis, er würde sie eine
Auferstehungsfeier nennen. Er würde sich freuen, diese Ehrenversammlung seiner Werke zu sehen,
wie er sich an der Rembrandtausstellung im Haag freute, er würde in ihr eine Probegestaltung
seines Lieblingsgedankens sehen, eine Reihe seiner vollgültigsten Werke in einer Galerie in seinem
Hause zu vereinigen.
Franz von Lenbach hat in seinem Haus in der Luisenstrasse , das ein Denkmal seines
Geschmackes ist, deutlich gezeigt, wie er die Gemälde, die für die Heimstätten der Familien gemalt
sind, dem Ganzen harmonisch eingefügt sehen wollte. Das von vielen Künstlern so leicht
verächtlich gebrauchte Wort ,, dekorativ", ihm tat er bewusst und gern alle Ehre an. Kunst
soll schmücken und geschmückt werden. Je edler der Kunstgegenstand, desto ergiebiger ist
er für den Raum, in dem der Mensch leben und schaffen und vergessen, die Lebensdissonanzen
vergessen soll. Unter dem weiten Gesetz „Was schön ist, soll herein!", in dem nur der
Geschmack der Grenzwächter ist, betrachtete Lenbach auch das Bild in der Wirkung, die er ihm
geben wollte. Und jedes Gemälde in der Dreihundert-Ausstellung hat seinen lebendigen Schönheits-
gehalt, der auf den Beschauer zukommt und durch seine innere Macht das intime Verhältnis
des Alleinseins mit ihm herstellt. So wird durch die künstlerische Sprache Franz von Lenbachs
aus der Dreihundert-Ausstellung für die, die eindringen wollen, ein intimes, festliches, feierliches,
grossartiges Ereignis: intim, weil in diesen Bildern „der echte Lenbach" aus seiner ganzen
Lebenszeit spricht, — festlich, weil sie sich in einem Panorama der grossen Lenbachschen Welt
Tag für Tag umschauen können , — feierlich , weil ein Genie aufrichtig mit all seiner Auf-
erstehungskraft sich beweist, — grossartig, weil jedes Bild die grosse ureigene Art dieser
Persönlichkeit und ihrer Kunst offenbart. Das wird
auch das bleibende Verdienst dieser mächtigen
Lenbach-Ausstellung sein, dass sie ihn, Franz von
Lenbach, in seiner Einheit und Mannigfaltigkeit reden
lässt, dass sie ihm sein Urrecht gibt, sich selbst und
seinen Nachruf zu erproben, zu verstärken, sich zum
Ruhme, — zur Freude aller, die die Kunst und ihre
schönen unvergänglichen Wohltaten lieben!
Auf dem Gang durch diese Lenbach-Ausstellung
von seinen Werken reden, heisst von i h m reden, und
es könnte für den, der dem armen Worte die Wärme,
die Wertung abgewinnt, dieses Reden ein Porträt von
ihm werden, eines, aus dem, wie aus seinem Selbst-
porträt, seine Augen hervorleuchten, seine Augen,
die so viel einfangen und so viel sagen konnten. Ich
nannte Franz von Lenbach den Mittler zwischen der
Vorraum von Lenbachs Atelier Menge und den Grossen. Als solcher erscheint er
Kranz von Lviibaih piiit.
l'lKit. K. Iljiil»iacin!l, Miiinh»ii
Prinzregent Luiipold von Bayern
Mit UrtH liwlmm« Irr Vi-rl«it»«li«i*U h. mii.liiuMiu *.-4». MiIb.Im-u,
Franz von t.ciibacli piiix.
Pbol. i-. Hiuhticngl, MUncbcn
Prinz Ludwig von Bayern
DIE KUNST UNSERER ZEIT
155
Festsaal im Lenbachhause
in all den Porträts, in denen er die
Potentaten der Kultur schildert.
Er vermittelt, indem er sie alle
menschlich treffend darstellt, er
unterstreicht den anziehenden
Zug ihrer Naturen wohlwollend,
alle menschliche Unzulänglich-
keit erkennend. Er hat fast alle
regierenden Häupter unserer
merkwürdigen , eiligen , sinn-
verwirrenden Zeit gemalt. Die
Monarchen, die Diplomaten, die
Wissenschaftler, die Geistes-
fürsten, die Geldfürsten, die Ho-
heiten der Natur, die schönen
Frauen, sie sassen ihm alle still,
und hinter seiner Brille schien immer ein geheimnisvolles Mikroskop, in dem er sein Auge
schärfte, dem er aber nur selten die Spitze der Karikatur erlaubte. Diese Unterlassung ergab sich
logisch, wie alle Wahrheit ist, aus seiner inneren Menschenanschauung, die ins Herz der Kreatur
sah, ob sie gekrönt oder geknechtet war, und nie einer Bosheit einen ewigen Platz schuf.
Wie menschlich anziehend hat er den Bayern ihre königlichen Herren gemalt! Er malte
schon König Ludwig 1., dessen Verdienste er so hoch zu schätzen wusste wie wenige. Er
betonte immer wieder, wie viel Schönheit dieser Romantiker auf dem Throne nach München getragen
hatte. Er sagte oft, wie er ihn als Patrioten, als Ästhetiker schätze, auf jeden Fall sei er eine
grosse Figur in der Geschichte, ein Mann von Bedeutung für alle Zeiten, und dass es ein weh-
mütiger Anblick gewesen sei, ihn vom Alter gebeugt in grosser Einsamkeit durchs Leben schreiten
zu sehen. Und aufrichtig erzählt er, das Porträt, das er von ihm gemalt , habe dem König
durchaus nicht gefallen; beim Verlassen des Ateliers rief er: „Gefällt mir garnicht, viel zu alt, viel
zu hässüch ! Adieu! Adieu!" Die Ähnlichkeit, die Lenbach in König Ludwig I. mit Moltke sah, ist
auch in seinem Porträt sichtbar, vom Denken modellierte Züge.
Die Fortsetzung des künstlerischen Sinns und Handelns von König Ludwig I. in seinem Sohn,
dem Prinzregenten Luitpold, steht als eine tatsächliche Dokumentation von der Unsterblichkeit
des Geistigen da, wie sie durch Begabung und Tradition in die Erscheinung tritt. Das Verhältnis
des Prinzregenten zur Kunst und zu den Künstlern ist ein herzliches zu nennen. Er nimmt teil
an den Werken, wie an der Person, er beweist das durch Ankäufe und Besuche und erhält eine
Verbindung zwischen Herrscherhaus und Kunstwelt, die einzig in ihrer Art ist. So ist der Prinz-
regent mit allem inneren Zusammenhang auch der Protektor der Lenbach- Ausstellung, in
der sein Porträt am deutlichsten sagt, wie Lenbach seine milde Weise, seine menschliche Ein-
15G DIE KUNST UNSERER ZEIT
fachheit und Freundlichkeit schaute und zeigt. Prinz Ludwig, der zweite Protektor, ist im Ornat
von vor zwanzig Jahren in der Bilderreihe der Potentaten. Sein Gemälde, im Kreise seiner
Familie, ergänzt den Eindruck seiner Persönlichkeit, fügt die gemütliche Note bei. Eines der
merkwürdigsten Potentatenbilder ist das Porträt der Herzogin Max in Bayern, der Mutter der
merkwürdigen Familie, aus der die heroischen Frauen, wie die Kaiserin von Österreich, die Königin
von Neapel hervorgegangen sind, deren Sohn, Herzog Karl Theodor in Bayern, der Augenarzt
ist, der um der wissenschaftlichen und humanen Arbeit willen die ärztliche Tätigkeit wählte, der
Tausenden von erblindeten Armen „umsonst" das Augenlicht wieder verschaffte, der als ein stiller
Wohltäter im Lande wirkt, dessen Tochter die Gemahlin des Prinzen Rupprecht ist, des begeisterten
Anhängers Franz von Lenbachs. In Lenbachs Schaffen betätigt sich durch drei Generationen die
Devise: „Es muss der Künstler mit dem König gehen!" Und er ging gut mit den Königen,
da er selbst in seiner Weise einer war. Alles Devote lag ihm fern, aber er hatte ein gesundes
Mass für die Verdienste, die Rechte des anderen. Er konnte sich unterordnen, aber — er bückte
sich nicht. Als ihm einmal ein gutgesinnter Diplomat sagte, er sei bei einem Potentaten in
Ungnade gefallen, er wäre bereit, das mit ein paar vermittelnden Worten wieder einzurichten,
meinte Lenbach, ihn ruhig fixierend: „In Ungnade? Ich? Bei ihm? Das ist ein Irrtum, Lieber!
Er — bei mirl"
Kaiser Wilhelm 1. und Kronprinz Friedrich, der in so tragischem Moment Kaiser wurde,
wie hat sie Lenbach geschildert ! Die Geschichte dürfte beschwören , Kaiser Wilhelm sei
grausam, kalt, tyrannisch gewesen, Lenbachs Porträte würden als Verteidiger seine milde Güte,
seine gehaltene, rücksichtsvolle, fast zaghafte Art beweisen. Und wenn keine Tat, kein Dokument
bewiese, dass Kaiser Friedrich, sein geprüfter Sohn, ein Idealist war, das Gemälde von ihm in
der Lenbach-Ausstellung Hesse in seine Seele sehen. Lenbach war es gegeben, die Seele durch all
den Wust äusseren Müssens und Verzwergens durchzufühlen, sie gewissermassen aus dem, was das
Leben an der Uranlage einer Natur verschüttet, zurückdrängt, was oft nur wie ein vulkanischer
Funke in der Tiefe bleibt, herauszulocken, künstlerisch fest zu halten. Diese Seher-Kunst, der
oberste Helfershelfer seiner Malkunst, ward ihm von seiner Lebensanschauung gegeben, die ihn
befähigte, sich zu verneinen, den anderen zu empfinden, die ihn in ihrer Vorurteilslosigkeit so
bescheiden machte.
Keine Beziehung zu irgend einem Potentaten beweist so, ich möchte fast sagen, elementar
Lenbachs urtiefe Bescheidenheit, als die zu Bismarck. Als ich ihm einmal im Gespräch alle Vor-
züge seines Lebens aufzählte und einfügte: und „Freund Bismarck!", unterbrach er mich tempera-
mentvoll, wie ich das nur sagen könnte. Das wäre gerade, wie wenn ich sagen würde, eine
Maus sei mit einem Löwen befreundet. Niemand sei ein Freund Bismarcks, der sei eine Kulturmacht.
Diese Bemerkung stammt aus der Zeit, in der Bismarck noch ungekränkt auf seiner Höhe
stand, in der die gemütliche Kraft sich im Hintergrunde seines Wesens hielt, in der die grossen
Aufgaben sie zurückdrängten. Lenbach lernte im Laufe, und das heisst ja: im Wandel der Zeiten
die ganze Weichheit, subjektive Weichheit Bismarcks kennen, und eine Reihe von Bildern drücken
DIE KUNST UNSERER ZEIT
157
auch dieses Kennen-
lernen aus. An der
Hand der Lenbach-
schen Bismarck-
p o r t r ä t s wäre Bis-
marcks Lebensgang
in seiner Entwick-
lung, in seiner Viel-
gestaltigkeit zu cha-
rakterisieren. Vom
preussischen Sol-
daten, der seinem
Herrn und Kaiser
dient, vom gelas-
senen, scharf einsetz-
enden Diplomaten,
vom behaglichen
Gutsherrn, den die
Schritte auf eigenem
Grund und Boden
freuen, vom leiden-
schaftlichen Poli-
tiker, der den leiden-
schaftlichen Gegner
in sich schliesst, vom
eisernen Reichs-
kanzler , vom er-
schütterten Herr-
scher, vom weh-
mütigen Witwer er-
zählt Lenbach die
wahre Geschichte,
wie er sie erschaut,
wie er sie zum Teil
miterlebt hatte. Sagt
er doch selbst, er
war wie das Kind
im Hause Bismarcks.
F. «. Lenbach. Frau von Lenbach
F. t). Jjenbacli. Gabriele Lenbach
Wie Lenbach den
eisernen Kanzler,den
er so als „geschmie-
deten" Menschen
sah, kennen lernte,
darüber gingen die
buntesten grotes-
kesten Geschichten
um. Wieder spukte
eine solche in der
Presse, ich frug ihn,
ob die wahr sei?
Und beim Malen
über seine Brille
schauend meinte er,
ob ich denn nicht
die lehrreiche Ge-
schichte kenne! „Ein
Engländer, ein Fran-
zose, ein Deutscher
werden beauftragt,
ein Kamel zu malen.
Der Engländer rüstet
sich gründlich aus
und reist in die
Wüste, um das Tier
in seiner Umgebung
zu studieren. Der
Franzose packt
seinen Malkasten zu-
sammen und kut-
schiert in einer be-
quemen Droschke
in den zoologischen
Garten. Der Deut-
sche aber, — er rührt
sich nicht von der
Stelle, bleibt im
158
DIE KUNST UNSERER ZEIT
F. V. Lenbaih. Arthur Schopenhauer
Atelier — und schöpft das Kamel aus der Tiefe
seines Gemüts, — gerade, wie die Geschichten, wie
ich Bismarck kennen lernte." Am reizvollsten er-
zählte das Lenbach selbst, wie er ihm in Kissingen
im Jahre des Kullmannschen Attentats vorgestellt
wurde, wie er durch die Vermittlung von Donna
Laura Minghetti, der Schwiegermutter des Reichs-
kanzlers von Bülow, in das Bismarcksche Haus kam,
wie sich aber erst bei einem späteren Zusammen-
treffen mit Bismarck in Gastein die Beziehung enger
knüpfte. Lenbach soll das Wort haben, wie er Wyl
die verbindende Episode erzählte: „Ich besuchte in
Gastein eine Familie, die im oberen Stockwerk des
Hauses wohnte, dessen unteres Bismarck mit seiner
Familie inne hatte. Als ich bei meinen Freunden
oben angelangt, erzählte ich ihnen von dieser Be-
gegnung (Bismarck), und sie erklärten mir darauf, ich
müsse nun auf alle Fälle bei Bismarck einen Besuch machen. Ich weigerte mich und sagte, dazu
hätte ich nicht das geringste Recht. Man drang aber in mich und sagte, ich müsste wenigstens
meine Karte abgeben. Das tat ich denn auch und ging dann zum Essen. Als ich darauf wieder
ins Hotel kam, begegnete ich dem Fürsten, der mich sehr freundlich grüsste und mir sagte, er
sei eben im Begriff gewesen, mir einen Gegenbesuch zu machen. „Da muss ein Irrtum vorliegen",
sagte ich, „Durchlaucht müssen mich da mit dem seligen Rubens verwechselt haben". Der Fürst
fragte mich, ob ich schon gegessen habe, und ich hatte die Geistesgegenwart, nein zu sagen,
obwohl ich noch mein Dessert in den Zähnen spürte. Bismarck sagte nun: „Ah, da kommen Sie
mit mir, ich esse heute allein". Er war in einer schrecklichen Stimmung. Eine Anzahl von
Geheimräten hatte den grossen Mann mächtig aufgeregt und der Fürst machte dem Ingrimme
gegen sie ohne jede Umstände Luft. Auch sagte er, er sei in der Stimmung, jeden für einen
Spitzbuben zu halten, der ihm nicht klar und deutlich das Gegenteil beweise. Darauf sagte ich:
„Da möchte ich Euere Durchlaucht nur bitten, mich recht oft einzuladen, damit ich Ihnen für
meine Person das Gegenteil beweisen könnte."
Und Bismarck lud ihn oft ein, und Lenbach hat ihm Wort gehalten. Durch lange bewegte
Jahrzehnte hindurch war er ihm der ehrlichste Ergebene im tiefsten, wahrsten Sinne dieses oft
missbrauchten Wortes. Von kaum etwas Menschlichem sprach Lenbach mit solcher herzlichen,
freudigen, geradezu grenzenlosen Ehrfurcht wie von Bismarcks Persönlichkeit. Alle Charakter-
züge Bismarcks verbanden sich ihm zu einer harmonischen Grösse, die er bewunderte und liebte.
Er lauschte auf jede seiner Wesensäusserungen , auf jede seiner Äusserlichkeiten. Wenige,
nur ganz wenige drangen so in Bismarcks Eigenart ein, wenige hingen so ununterbrochen
Franz von Lcnbach pinx.
Pbot F. HanhKcnKl, MOnchen
Bismarck
Kranz von Lcnbach piiix.
Phot. P. HaiiUlaeiiKl, Mdnchcii
Moltke
DIE KUNST UNSERER ZEIT
159
und unwandelbar an ihr. Mit den Entdeckeraugen der Liebe sah Lenbach das „Ungeheuer", wie
er ihn oft nannte. Das Urnatürliche war Lenbach so verwandt, das, was sich nicht mit Kultur-
lappen oder Kulturbrokat verkleiden, beengen Hess, das, was durchdrang und das Betragen
wie die Taten aus der organischen Eigenkraft schuf. Nichts beirrte Lenbach in seiner Schätzung
Bismarcks. Nichts! Seine Hingabe an Bismarck war ein Zug in seiner eigenen Grösse. So einen
Andern empfinden zu können, dazu gehören verwandte Kräfte, gleiche Masse und Gewichte.
Lenbach sah Bismarck als ein monumentales Ganze an, an der Einheit seiner Person, an dem
reinen, von innen geschaffenen Stil hatte er seine entzückte Freude. Gehörte Lenbach doch zu
den einsichtigen Naturwissenschaftlern, die an jedem Gewordenen die Eigenart bewundern, an der
Eiche die Kraft, an der Blume die Zartheit, die dem Baume lassen, was des Baumes ist. Alle
Wesenszüge Bismarcks nahm er wie Naturschönheiten auf. Wie sympathisch war ihm die Ge-
mütlichkeit im Bismarckschen Hause, das Leben und Treiben, wie es sich um den Grossen herum
abspielte, die Gastfreundschaft, die weder nach Rang, Würde noch Frack frug, die Harmlosigkeit,
mit der geplaudert wurde, die
heitere Stimmung, die an der Tafel-
runde herrschte, zu der wohl
Lenbachs entzückender Humor
das auserwählte Seine beigetragen
hat. Ein kleines, reizvolles Bei-
spiel: „Eines Tages klagte mir
die Fürstin ihr Leid: „Da habe
ich meinen Mann geheiratet und
jetzt habe ich nichts von ihm, er
arbeitet Tag und Nacht auf seinem
Bureau. Da habe ich zwei Söhne,
an denen ich mich zu erfreuen
gedachte, und die sind nun auch
Tag und Nacht im Geschirr". „Ja,
Durchlaucht", sagte ich, „warum
haben Sie auch in eine solche
Beamtenfamilie hineingeheiratet !"
Den ,, Beamten" Bismarck er-
kannte Lenbach aus der Tat als
einen gütigen Menschen im Ver-
kehr mit den Seinen, im Verkehr
mit jedem Arbeiter, der ihm be-
gegnete, er sah ihn väterlich fragen,
nachschauen, handeln und nannte /■. c. Uubach. Amoid Böckiin
XVi 24
16U DIE KUNST UNSERER ZEIT
auch sein Verhältnis zu Deutschland väterlich. „Er ist eben ein Demokrat im reinsten und besten
Sinne des Wortes, und das sind schliesslich alle wahrhaft genialen Leute." „Bismarck ist noch
heute kein Philister und verachtet den Philister gerade so lebhaft, wie er es in jungen Jahren
getan hat." „Er hat von jeher zwei Dinge getan, gearbeitet und sich gehen lassen, seiner Natur
nie den geringsten Zwang auferlegt. Alles, was nach diesem einzigen Manne kommen wird, wird
immer Glas sein, immer wird man dahinter seine ungeheuere Gestalt sehen. Und ist er einmal
tot, dann wird es ganz ebenso sein. Den Mann kann man nicht hinausdrücken aus dem Leben
der Nation, aus der Geschichte. Über alle Leute ragt er wie eine Pyramide empor. So ein
Mann ist ein Triumph der Menschheit, er ist mehr wert als ein ganzes Reich."
Diese Aussprüche zeigen, wie Lenbach Bismarck sah. Und jedes neue Zusammensein
bestärkte seine Verehrung, seine Begeisterung, die nichts, gar nichts Devotes, aber alle Natürlichkeit,
alle Kindlichkeit, alles Reine wahrer Liebe in sich trug. Nur durch dies eindringende Schauen
und Herausheben der Höhekräfte der Bismarckschen Persönlichkeit konnte Lenbach der Menschheit
dieses Sammelwerk von Bismarckbildern geben, die reden würden, wenn alle Geschichtsbücher
verschwänden, in dem er sich selbst ein Denkmal, ein unvergängliches, für alle Zeiten setzte. Er
zeigt den Nationen, wie Bismarck dachte, befahl, gehorchte, triumphierte, unterlag, weinte und
lächelte, den ,, Menschen". Ergreifender, als auf dem Bild, das dieses Heft enthält, hat er ihn
nirgends gemalt. Es erfasst den Augenblick, in dem alle Überzeugung in ihrer Religionskraft in
ihm aufflammt, dieses „ich kann nicht anders" derer, die vom Innern getrieben werden, die
müssen! Wenn sie eisern handeln, so sind sie durch alle Gluten der leidenschaftlichen
Empfindung dazu geschmiedet worden, vom heiligen Feuer!
Moltkes Bild führt schon hinüber zu den Diplomaten, zu denen, die gewissenhaft mit der
Anspannung aller verfügbaren Geisteskräfte ihre Aufgabe ausdenken, die ihren Zielen die äusserste
Grenze setzen, ihr Möglichstes tun — und dann doch musizieren und sogar gern gemalt werden.
Sie haben die Ruhe der besonnenen Mathematiker. Gladstone, Hohenlohe, Döllinger, sie alle waren
Meister des Schachspiels oder der Strategie, — wie mans anschaut, ob in der Vogelperspektive
oder im Lokalmasse. Döllinger sieht am temperamentvollsten aus, so, als ob er über die diplo-
matische Schnur schlagen möchte, mehr schlau als kühn. Döllinger und Gladstone, welche
auseinandergehenden Wege und Ziele! Aber in der Zentrale der Lenbachschen Kunst werden
die beiden zu Pendants, die sich „künstlerisch" vertragen. Auch Lenbach hatte seine witzigen
Diplomatenfreuden !
Es ist, als ob sich im Kopfe Mommsens all das Geistige, was aus den geschlossenen
Diplomatengesichtern schimmert, zur Geistesflamme steigerte, — zu der Geistesflamme, vor der
all die Faltengewänder und Maskeraden der Geschichtsschreiberei verschwinden, vor der die
Vorurteile und die Nachurteile wie Spreu verfliegen, die die Wahrheit von ihren Narrenkappen
und Schönheitspflastern reinigt. Lenbach hatte seine helle Freude an diesem Kopf, an dem
„stachlichen alten Herrn", wie er ihn gern nannte. Mit Begeisterung gab er sich der Wiedergabe
dieses Kopfes hin und an mancher Venus wäre er für ihn vorüber gegangen. Er hätte wohl
DIE KUNST UNSERER ZEIT
161
F. V. IjC'iibach. Werner von Siemens
F. T. /.enbac/i. Hermann von Helniholtz
gedacht: davon gibt es Mehrheiten, aber es gibt nur einen Mommsen. Das „bewohnte" Gesicht
des Forschers zog ihn von jeher an, in Schopenhauers Zügen suchte er dem Geist, der in die
Tiefen steigt, gerecht zu werden, — in Mommsens durchgeglühten Zügen gelang ihm das in der
glänzendsten Weise. In Helmholtz', in Siemens', in Virchows Porträten, wie ist da das geistige
Leben mehr im Gehäuse des Weltmanns verschlossen, von den Temperamenten ummauert! Ein
Temperament, das wie das Mommsensche flammt — was Mommsen die Tatsachen waren, waren
Liszt die Akkorde, — spricht aus dem Lisztschen Porträt. Das ist der Mensch, der Herr wurde
über die Regeln seiner Kirche, über die Regeln seiner Gesellschaft, über die Philister aller Sorte,
und dessen feste Burg die Kunst war.
Lenbach sah und schätzte im Tun jedes einzelnen nicht das Handwerk, nicht die Kunst
an sich, die er ausübte, sondern wie er es tat. In dem Wie sah er die Rangnote. Er war
im Stande, einen einfachen Handwerker, der einen seiner Aufträge gut ausführte, Meister oder
Wohltäter mündlich und schriftlich zu nennen, — und im Gegensatz dazu einem Geheimrat,
einem der berühmtesten Chemiker, der ihn, von Madrid zurückkehrend, besuchte und ihm ver-
sicherte, er fände die Lenbachschen Kopien ganz so schön wie die Originale im Prado, zu sagen:
„Ich hör', Sie sind ein grosser Chemiker, mein Lieber! Aber von Malerei verstehns halt nix."
Zu Liszt, zu Richard Wagner, zu allen grossen Musikern hatte Lenbach ein sicheres,
bewusstes Verhältnis, das intimere zu den Grossen der Vergangenheit, unter denen er
Bach liebte; Mozart nannte er den „zärtlichen"; in jedem fühlte er das Geniale seiner Eigenart,
162
DIE KUNST UNSERER ZEIT
sogar in Johann Strauss erkannte er es, ehe dieser zu seinem Ruhme kam. Auch auf dem
Gebiete der Musik war Lenbach durch sein unmittelbares Verstehen der Umfassende, den
keine Mauer der Einseitigkeit beengte. Sein musikalisches Empfinden war so eingeboren, dass
er, ohne jede Schulung, nach kurzen Versuchen den verschiedenartigsten Instrumenten Harmonien
entlocken konnte. Die alten Instrumente interessierten ihn besonders. Einmal vor einer Reise
nach Tölz kaufte er eine ganze Reihe zum Mitnehmen und behauptete, bei der Ankunft müsse
er sie spielen können. Und — er erreichte es, spielte weiche Akkorde, wie sie ihm auch, ohne
es je gelernt zu haben, auf der Geige gelangen, wie er sie oft zwischen seiner Arbeit auf dem
Harmonium anschlug. Dieses Instrument spielte Lenbach so ausdrucksvoll, dass kein Geringerer
als Hermann Levy oft bewundernd sagte, eine solche Steigerung brächte er nicht heraus. Hermann
Levy, der beharrliche Wagner-Paulus, den er als Johannes, als dirigierenden Generaldirektor, als
lächelnden Lebenskünstler malte, führt zu Bayreuth, wo Lenbach Richard Wagner malte, wo er
die interessante Zeit der ersten Festspiele miterlebte.
Wie alle im Grund echt wahrhaftigen Menschen konnte er mit Niemandens Person und mit
Niemandens Kunst den Götzendienst treiben, den er, das Schöne mitgeniessend, in Bayreuth
mitansah. Seine gesunde Natur nahm nur Gesundes auf. Auch in der Bayreuther Ekstasezeit
machte er selbst Wagner kein Hehl daraus, dass er sich bei der Ausdehnung der Vorstellungen
langweile, und wenn ihm Wagner zuredete, klagte er beharrlich : „Aber ich langweile mich" und ver-
liess die Vorstellungen sanfter, rhythmischer
vor ihrem Schluss. Sich
rechtfertigend, meinte er
vom Parsifal: „Das ist
ja grad, als ob man mit
dem Bummelzug durchs
Paradies führ', allweil
heisst's: anhalt'n!"Musik
liebte er in dem Masse,
als sie in einem schön-
geführten Leben Ge-
nüsse steigert, gewisser-
massen auch ,, dekora-
tiv" wirkt. Weiche Ak-
korde, wie er sie gern
auf dem Harmonium
anschlug, zu guter
Stunde schöne Lieder
in schönen Räumen, zu
sanften Klängen ein
F. r. lA-nbach. Rudolf Virchow
Tanz, — das entsprach
seinem Geschmack I So
fand er es in dem Horn-
steinschen Hause, wo
gute Menschen schöne
Lieder sangen, in dem
Haus, in dem die Frau
seiner Liebe aufwuchs
unter dem Segen solcher
Musik. Bayreuth war
ihm zu laut, zu einseitig.
Einst, als Wagner nach
München kam, über-
redete ihn Lenbach, mit
ihm in die Glyptothek
zu gehen. Unterwegs
zog Wagner doch die
Einkehr zu dem reinen
guten Münchener Bier
Kran/ von Lcnhacli piiix.
Phot. K. Haiifslai-iiKl. MUiicIk'ii
Theodor Mommsen
DIE KUNST UNSERER ZEIT
163
mit Bratwürstin den klassischen Genüssen vor. Lenbach lachte und meinte, nun sei er gerecht-
fertigt, wenn er in Bayreuth desertiere.
Aller Kunst gegenüber war Lenbach keiner Heuchelei fähig. Schablonentaxationen
anerkannte er nicht. Was nicht zu ihm sprach, stiess er ab, kraft seiner Natur. Wenn sich das in
f. V. Lctilxiili. (ilaclstone und Uölliny;er
derben Worten äusserte, so waren diese nur die Knallfeuer des Temperaments. Keine Bosheit
blieb zurück. Er hat oft Rindvieh gesagt und wohl zu gleichen Teilen Recht und Unrecht gehabt.
Sein Zorn brauchte Worte, keulenkräftige Worte! Wenn er sie in die Gehörweite der Philister
warf, so wurden sie ganz anders geprägt, als sie gemeint und wert waren. Sie könnten so aus
dem Ganzen des Lenbachschen Wesens genommen, abgerissen beurteilt, ihn als rücksichtslos oder
grob hinstellen, was er nie war. Heuchelei, Unfähigkeit, Verleumdung, — welch ein verhängnis-
voller enger Zusammenhang besteht zwischen ihnen, — die entflammten seinen Widerstand zu
Blitz und Donner; wo er ihnen begegnete, schlug er auf sie los. Wenn er beim Anblick des Porträts
eines Unfähigen von einem Unfähigen ausrief: „Da sind doch die zwei Rechten zusammen
gekommen, da ist ein Vieh von einem Vieh gemalt worden," so war diese Äusserung das ganze
Gewitter seines Zornes. Es gab sich schnell. Nie schlug es in die Existenz eines anderen ein.
164 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Dazu war er zu mitleidsvoll, selbst mit dem Antipathischen. Einen Kunsthändler, dem alle Künstler
die Ateliers verschlossen, Hess er immer wieder ein. Befragt, warum er diesem Widerwärtigen,
den Niemanden mehr empfange, seine Türe öffne, war seine Antwort: „Siehst, der Kerl ist so
widerwärtig, den mag gar niemand. Wenn auch ich ihm nichts mehr gäbe, war' er ganz ausgestossen !'*
Aber einen Schurken nannte Lenbach einen Schurken. Er tat es nicht leichtfertig. Wenn
er sich von diesem Rechte überzeugt hatte, verstummte er nicht mehr. Er hat es bewiesen.
Seine Überzeugung war stark, mutig, laut! Mit welchem zornigen, werbenden Feuereifer, mit
tausend zornheiligen Donnerwettern und mit tausend güteheiligen Bitten und Dankworten kämpfte
er für den Bau des Nationalmuseums, des Künstlerhauses, des Bismarckturmes. Moses schlug
aus dem Felsen Wasser, — er schlug aus dem Gleichgültigen Teilnahme und Taten, die einem
Wunder gleichen. Er selbst gehörte zu denen, die ohne laute schöne Worte mit stillen schönen
Taten halfen. Was er gab, wie er gab, wie er ausgenützt wurde, davon wissen nur, weil er
schwieg, seine wenigen Intimen, seine Freunde, manches nur seine einzige Vertraute, seine
Frau, zu erzählen. Für die grossen Objekte aber musste er bitten gehen.
Es ist ein Ehrenkapitel in der Lebensgeschichte Lenbachs, wie er für diese Architekturen
seine ganze Person einsetzte, und wie sie nun unvergänglich München schmücken, sind sie
nicht nur Denkmäler seines Schönheitssinnes, sie sind auch Denkmäler seiner persönlichen Kraft.
Als er mir das eben in der Vollendung begriffene Künstlerhaus zeigte, stellte er mir seinen
Freund, der sein ganzes Vertrauen als Künstler und Mensch besass, Gabriel Seidl mit der
Bezeichnung vor: „Der ist die Mutter davon, ich bin der Vater". Eine Wandbekleidung im
Festsaale gefiel ihm nicht, sie schien ihm zu matt. Mit welcher Herzlichkeit er auf Seidl einredete,
er solle sie glänzender machen lassen: „Siehst, ich mein', es solle von orientalischer Pracht sein,
weisst so, als ob 300 Juden 400 Jahre dran g'stickt hätten." Ja, wie ein zärtlicher, freigebiger
Vater wollte er dies Haus seines Geschmackes ausstatten, und wie ein zärtlicher, freigebiger Vater
beschenkte er es, ideell und materiell. Er regte das griechische Fest im Hoftheater an, dessen
Einnahmen dem Künstlerhausfonds zu gute kamen. Wie warb er um sein Zustandekommen,
lieblich, witzig! „Ich denke mir halt so ein Oktoberfest in Griechenland." Wenn Lenbach auf
dem witzigen Festbilde von F. A. Kaulbach die Quadriga kutschiert, so stimmt dieses Symbol!
Lenbach war es, der diesen Festwagen lenkte. Er lenkte den ganzen Bau des Künstlerhauses,
dessen Schönheit alle Bedenken besiegte, zur Freude seines Ur-Vaters, dem die Schenkung der
Stadt für den Lieblingsbau noch in kranken Tagen eine Weihnachtsgabe war. Seine Freunde
wissen, wie er danken konnte, wie ein beglücktes Kind. Jede Güte gewann den Wiederklang
seiner eigenen ab, es war ein Echo in seinem Herzen, das den Ton verstärkte, steigerte, festhielt.
Er gab meist mehr, als er empfing. Seine Freunde wissen auch, wie er Freundschaft auffasste,
wie eine heilige legale Institution, in der Pflichten und Rechte enthalten sind, untrennbare und
unvergängliche.
Seine Treue war eine lebendige, tatkräftige, es muss gesagt sein, — oft unkritische. Wer
einmal mit ihm zusammen geplaudert, gedacht hatte, ihm zustimmte oder ihn überzeugte, dem gab er
DIE KUNST UNSERER ZEIT
165
leicht mit dem Du die
vermeintliche Freund-
schaftsnähe. In dem
überreichen kosmopo-
litischen Verkehr, den
er hatte, stand er unver-
rückbar fest zu seinen
alten Beziehungen, zur
entferntesten Verwandt-
schaft wie zu den alten
Jugendfreunden. Der
Maler Hofner, sein erster
führender Kollege aus
der Schrobenhauser
Zeit, behielt seine Stelle
im Lenbachschen In-
teresse, und es war
wohltuend zu sehen,
1' . (■. Ijciibitch. Fürst Holienlohe
wie er Hofner vorstellte
und seine Bilder pries.
Er brachte sie hie und
da ins Lenbachsche
Atelier, und ich sah zu,
als Lenbach in eines der
warmfarbigen Hühner-
bilder plaudernd hinein-
korrigierte, dann sein
breites „Lenbach" zu
dem Namen „Hofner"
setzte: „We!sst, da
kriegst mehr Geld von
die Leut' — ".
Lenbach zählte zu
den guten Menschen,
die von einem kritischen
Urteil über Freunde in
ihrer Freundschaft, wenn sie den Kern der Natur schätzten, nicht gestört, die ihnen individuell
gerecht werden, wie es Lenbach Böcklin wurde, dessen gegensätzlicher künstlerischer Weg, dessen
gegensätzliche künstlerische Anschauung ihm ganz klar war. Lenbach war der Böcklinschen Kunst,
ohne sie so hoch einzuschätzen , wie es heute geschieht, viel toleranter, als Böcklin der seinen.
In jedem Urteil zog er die gegebene Art und Grenze der Begabung, das unzulängliche Menschliche
in Betracht. In diesem grosszügigen Sinne, ohne nach der innersten künstlerischen Überein-
stimmung zu fragen, stand er vielen bei, lebendig war er für sie. Wo es galt, für sie einzutreten,
nahm er ihre Sache auf seine breiten, starken Schultern. Wyl erzählte er ausführlich, wie er
für Moritz von Schwind handelte: „Schwind sagte mir eines Tages, dass es ihm „nicht extra"
gehe. Er habe das ganze Atelier voll „Bildein", aber niemand kaufe ihm etwas ab. Es stellte sich
heraus, dass Schwind etwa fünfundzwanzig Bilder kleineren Formats vorrätig hatte und dass er
willens war, diese ganze kleine Galerie für achttausend Gulden loszuschlagen, ich fasste nun den Ent-
schluss, Schack dieses Geschäft plausibel zu machen. Das war aber kein leichtes Stück Arbeit.
Schack sagte: „Ich mag die Bilder von Schwind, den Kerl selbst aber kann ich nicht leiden".
Kam ich zu Schwind, so sagte der wieder: „Der Kerl ist mir unausstehlich". Was sollte ich nun
tun, um zwischen zwei solchen Feinden einen Handel zustande zu bringen? Ich begann Schack
zu erzählen, wie sich Schwind für indische und persische Literatur begeistere und dass er erklärt
habe, Schack sei ein wunderbarer Mann, der die Dichtungen des Orients nicht nur übersetzt,
sondern neu gedichtet habe. „Die ganze Zeit schwärmt er mir von Firdusi vor, und obwohl
ich selbst diese Sachen bewundere, so wird mir das schliesslich doch etwas langweilig". — „So,
166
DIE KUNST UNSERER ZEIT
so," sagte Schack, „das habe ich ja garnicht gewusst, dass der Schwind ein so gebildeter,
geschmacicvoller Mann ist". Nun rückte ich mit der Offerte heraus, mit den fünfundzwanzig Bildern
für achttausend Gulden ; das ging aber schon schwerer. Endlich brachte ich es aber doch zustande.
Schack verlangte nur noch ein Bild als Zugabe, so wie man beim Fleischer einen guten Suppen-
F. c. lAinbach. Wilhelm von Riimann
knochen verlangt, und ich glaube auch, dass Schwind das verlangte Bild gegeben hat. Kaum war
der Kauf abgeschlossen, so wollte Schack die Bilder sofort holen lassen, ich aber sagte, dass Schwind
das Geld dringend brauche und es sofort haben müsse. „Geben Sie mir die achttausend Gulden", fügte
ich hinzu, „und ich will im Augenblick alles in Ordnung bringen". Und so geschah es auch. Schack
schickte einen Kammerdiener mit einer Kutsche und Hess die ganze kleine Schwind-Galerie abholen."
So half Lenbach dem Freunde und der Schack-Galerie. Überall griff er vermöge seines
warmen Temperaments und seiner vorurteilslosen Intelligenz tätig ein. So versöhnte er Semper
und Wagner nach dem ähnlichen Rezepte, wie das schon Shakespeare bei Benedikt und Beatrice
anwandte, er pries den einen dem andern so lange und heftig an, jeder glaubte es gern — und
die Feindseligkeit wandelte sich in die alte Freundschaft.
Franz von Lciibacli piiix.
Phot. F. HanfslaeiiKl, Milnchen
Franz Liszt
Franz von Lenbacb pinx.
Phoi. K. MinlslaenKl. MUnchen
Rudolf von Sei tz
DIE KUNST UNSERER ZEIT
167
Lenbach blieb dem verdienstvollen Semper, dem Menschenränke so tragisch mitspielten, ein
stützender Freund, rührende Briefe Sempers legen davon Zeugnis ab. Auch nach Sempers
Tod trat Lenbach mit scharfer Energie für ihn ein. „Als das Opfer elender Schliche den Geist
aufgegeben hatte, veranstaltete die Wiener Künstlergesellschaft zu Ehren des Verblichenen eine
kleine Feier. Bei dieser Gelegenheit erschien in einem sehr bekannten Blatte eine Biographie
Sempers, worin ausgeführt wurde, Semper sei schon bei seiner Ankunft in Wien ein gebrochener
^
F. V. l^enbach. Adolf Hengeler
Mann gewesen; doch sei sein Werk von einer jüngeren, ausgiebigeren, bedeutenden Kraft
übernommen und glücklich zu Ende geführt worden. Wütend über diese ungeheure Lüge, schrieb
ich an die Redaktion des betreffenden Blattes und schloss einen Brief an dessen Kunstredakteur
bei, worin ich mit den denkbar schärfsten Ausdrücken meiner Auffassung Ausdruck gab. Es sei
eine wahre Schmach, schrieb ich, Semper an seinem offenen Sarge die Ehre zu rauben. Alles,
was an den Bauten gut sei, sei das Werk Sempers, alles Schlechte rühre von Hasenauer her. Den
wenigen Eingeweihten sei dieser Tatbestand schon längst bekannt und es sei schändlich, wenn
man es immer wieder versuche, das grosse Publikum irrezuführen. Zum Schlüsse gab ich mir
die Ehre, in der unverblümtesten Weise den Herrn Kunstschreiber meiner vollen Verachtung zu
versichern. Was war die Folge davon? Ich erhielt von dem edlen Kunstschreiber einen süssen
wedelnden Brief, den ich der Redaktion zurückschickte mit der Bemerkung, dass ich die Verachtung,
XVI 25
168
DIE KUNST UNSERER ZEIT
F. c. LciiLmh. Ucorg Proubst
die ich bisher für Herrn , . . allein empfunden, nun-
mehr auf die ganze Redaktion ausgedehnt wissen
wolle. Der brave Kunstschreiber hatte später die
Frechheit, mich besuchen zu wollen. Ich habe ihn
aber ohne Zeremonien irgend welcher Art hinaus-
komplimentiert."
So handelte Lenbach an seinen Freunden, — auch
an den Stummgewordenen. Für die Stummgewordenen
reden, für die Schlafenden wachen, für die Toten
kämpfen, — das ist in dieser Welt die Feuerprobe der
echten Treue, die keinen Lohn und keinen Dank will.
Lohn und Dank, diese Güter, hat Lenbach überreich
vorausbezahlt, und viele Schuldner von ihm halten
sich still im Lande, trotzdem die Bilder an den Wänden
zu ihnen reden sollten und reden. Noch als schwer-
kranker Mann sagte er beim Besprechen der Zukunft,
der materiellen Verhältnisse zu seiner Frau, man habe doch nicht nur mit dem baren Gelde zu
rechnen, man habe doch auch sichere Güter in der Freundschaft: „Ich habe mein Vermögen
doch mehr in Freundschaft als in Geld angelegt " Ja, Freundschaft und Liebe hat er
gehalten. Sie waren die Religion seines Herzens, die so viel Güte verbreitete.
Wie Lenbach zu den Menschen stand, das ist der Welt, der immer nur Momentaufnahmen
von jeweiligen zufälligen Eindrücken gegeben werden, zum grossen Teile fremd, unklar. Die
Nüchternen, die sich so leicht, da sie
Phantasie- und ideenarm sind, zu Miss-
günstigen und Böswilligen auswachsen, sind
eigentlich dem Grossen, den sie erreichbar
nahe im Erfolg sehen, von vornherein nicht
gut. Erst wenn sie durch Todesferne und
Denkmalpyramiden von ihm getrennt sind,
finden sie ein zustimmendes Verhältnis zu
ihm. Sie können es nicht freudig mitansehen,
wie ihm der böse, wie ihm der gute Tag
besondere Ernten in die Scheune schiebt.
Es erleichtert sie von der Bürde des Neides,
ihn zu verkleineren. Entstellende Gerüchte
werden von Mund zu Mund zu historischen
Tatsachen geprägt, — und da sie in einem
Umkreis ihr Leben weiterführen, der denen f. v. Unback. Fritz Piank
DIE KUNST UNSERER ZEIT
169
F. V. Lenbach. Frau N.
ganz fern liegt, die berufen wären, die Rechenschaftsjustiz zu
üben, führen sie ein meist ungestörtes Dauerleben in der
Riesengruppe der historischen Lügen.
Lenbachs lustige Antwort auf die Frage, wie er seine
beiden Häuser verbinde, ,,mit einer Hypothek", mit welcher
Vorliebe ward sie als Charakteristikum leichter Auffassung von
Schulden weitergetragen ! Der Nachdruck wurde nicht darauf
gelegt, wie kühn ein Mann ohne Bargeld bauen kann, wenn
er eben das Geld in fleissigen Wochen schnell ermalt, nur „ein
Genie!" Ihm galt Geld als Tauschwert, nicht als Gut an sich,
dem irgend welche Opfer zu bringen Sinn hätte. Die kostbaren
Tauschwerte seiner Bilder verschenkte er ohne Besinnen, ohne
Berechnen, wenn ihn die Sympathie oder das Mitleid oder — die Schmeichelei in ihre Macht bekam.
Er konnte es durch die ausgleichende Sicherheit, die in dem Bewusstsein lag, dass er im rechten
Moment die rechten Preise stellen konnte und erhielt, ruhig tun. Er fühlte damit auch sein Opfer
gewertet, denn manches Mal war es ein Opfer, die sogenannten „Kunden" zu malen, uninteressante,
, .unbewohnte" Gesichter. Dann sprach er wohl von einer Sehnsucht nach rückhaltslosem freiem
Schaffen; Hühner, Mythologisches wollte er malen, — keine Besteller! Aber wenn er die Besteller
unter seine schöpferischen Augen bekam, da ging sein malerischer Spürsinn suchend aus, — und
welche Entdeckungen machte er! An einem der uninteressantesten, hässlichsten Männerköpfe, den
lange Ohren für jedes andere Auge noch mehr entstellten, lobte er gerade die Ohren: ,, Schaut nur
hin, das sind ja gar keine Ohren,
da ist jedes eine ganze Land-
schaft!" Er sah eben alles in dem
malerischen Spiel von Linien und
Lichtern; das Malerische blieb
ihm immer das Magnetische, die
schöne Frau, die seelenlos war, —
nannte er, während sie im Voll-
gefühl ihrer Auszeichnung sein
Atelier verliess: „Eine schöne
Kuh". Das drückte keine Miss-
achtung aus, nur eine Graduie-
rung, denn eine schöne Kuh hatte
seinen vollen Beifall. Sein Beifall!
Wie falsch wurde er gerade von
Frauen gewertet, und wie viel
F. V. Lenbach. Liiian Sanderson flüchtiger war er, als erschien.
170
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Lenbach war so in sein künstlerisches,
tätiges, geistiges Leben eingewurzelt, dass
seine reiche lebendige Subjektivität immer
wieder in seiner Kunst aufging, dass ihm
in der Fülle, in der steten anregenden Be-
wegung seines Schaffens jedes Suchen, jedes
Pflegen intimen Verkehrs fern lag. Seinem
persönlichen Gefühlsleben ward er sehr
wählerisch gerecht. Reiche auserlesene Er-
folge und schwere bittere Enttäuschungen
hatten ihn im Grund seines Wesens „vor der
Welt verschlossen !" Seine gütige Menschen-
freundlichkeit machte die Türen seines
grossen Wesens weit auf, wie die Türen einer
katholischen Kirche. Aber — das Aller-
heiligste, das hütete er. In seiner liebens-
würdigen Natürlichkeit, in der Ansprache
„Schöne Frau" brauchte er den „Haupt-
schlüssel", der ihm bequem war. Nur die,
die tiefer schauen, wissen, wie freundlich
/'. r. I,riibiiili. I'rau Hcdwij{ Dohm
/'. t. LciiLuili. Königin von Neapel
und herzlich gerade ein Objektiver sein
kann, ohne sich zu geben. Diese Freund-
lichkeit und Herzlichkeit, die sich verneint
und den Anderen, der im Durchschnitt
nur geschwätzigen Egoismus gewöhnt ist,
reden macht und reden lässt, zieht an wie
ein Spiegel. Und Lenbach wirkte auf die
meisten wie ein Spiegel und diese meisten
gaben sich bewusst oder unbewusst alle
Mühe, vor diesem verewigenden Spiegel so
schön, so geistig, so interessant wie mög-
lich zu sein, Männer wie Frauen.
Die Männer charakterisierte Lenbach
nach ihres Wesens Kern, das Malerische
in der Modellation des Kopfes gebend,
die die Schönheit des Mannes bedeutet.
Bei den schönen Frauen malte er die
Schönheit als Selbstzweck!
DIE KUNST UNSERER ZEIT
171
Die Behauptung, Lenbach sei als Maler von Männerporträts hervorragender wie als Maler
von Frauenporträts, ist schon einer jener allgemeinen Glaubenssätze geworden, die aus einem
Trugschlüsse entstanden sind und ohne Nachprüfung nachgesprochen werden und bestehen. Das
Leben jedes einzelnen Kopfes brachte er durch sein schöpferisches Können in die lebensvollste
Erscheinung, ob es ein Männerkopf oder ein Frauenkopf war, er gab mit seiner mächtigen Kunst, was
er sah und was malerisch zu sagen war. Der Nachdruck ist auf das Wort „malerisch" zu legen,
denn bei all seinem tiefgründigen Sehen in die Natur der Männer wie der Frauen verwarf er die
sogenannte Wahrheit der modernen Kunst, die die Dissonanzen betont. Er wollte nicht überraschen,
blenden, aufregen, er wollte still beglücken. „Die grossen Meister der Alten ziehen einen so sanft
und mild in ihre Kreise". Es war eine zwingende innere Verwandtschaft, die ihn von seiner
frühen Jugend an zu den Werken der Alten zog, und schon, als er noch in Aresing und Schroben-
hausen Porträts malte, erkannte er:
„dass in der alten Kunst allemal
dasjenige Werk, das einen ganz
unmittelbaren Eindruck macht, mit
der grössten Rücksichtslosigkeit
aus der Fülle der Erscheinungen
herausgeschnitten ist, ohne dass
etwas dazu getan oder davon ge-
nommen wäre. Diese Ausschliess-
lichkeit, diese Konzentration auf
die vorliegende Aufgabe, dieses
Gefühl, dass das lebendige Wesen,
das man vor sich hat, nie wieder-
kommt, dass es ein Unikum ist
in der Welt der Erscheinungen,
macht dem Künstler den Gegen-
stand seines Schaffens zum Er-
eignis. Er fühlt sich durchdrungen
von der Pflicht, der zerstreuten
unruhigen Natur gegenüber etwas
zu schaffen, was für alle Zeiten
dauern und auf den Beschauer
einen einschneidenden Eindruck
machen soll. Es kam mir dabei
vor, als hätte ich in keinem
meiner Zeitgenossen diese tiefe
Versenkung in die einzelne Er-
F. c. Lenbach.
XVI 26
172
DIE KUNST UNSERER ZEIT
scheinung gefunden , und auch bei der grossen Masse der alten Maler fand ich sie nicht, mit
Ausnahme der grossen Herren, der Tizian, Rubens, Velazquez und anderer". „Alle diese Ideen
kamen mir, während ich an dem Bildnisse meines Bruders malte. Ich fühlte, dass ich nichts
auf der Welt zu tun hätte, als etwas Bestimmtes aus der Natur herauszugreifen, was auf meinem
Bilde den Eindruck einer machtvollen Lebensfülle machen müsse, und dass das nur zu erreichen
sei in einer glücklichen Form, aus der alles ausgeschieden wäre, was die Einheit stören könnte,
das Licht in einem entschiedenen Rhythmus
verteilt, alles gleichsam zu einem dramatischen
Moment gesteigert wäre, zugleich aber wieder
zur harmonischen Ruhe durchgebildet."
Nach dieser idealsten Anschauung eines
Porträtmalers, die auf dem Urboden seiner
eigenen Natur erwuchs und am inneren ver-
wandtschaftlichen Zusammenhang mit den alten
Meistern zum klaren Bewusstsein, zur realen
Tatkraft erstarkte, malte Franz von Lenbach. Aus
seinem ursprünglichen, unmittelbaren Instinkt
heraus, ohne schulhaften Wegweiser, fand er
sich zu den Alten, und lebenslänglich ging er
in ihre Lehre, lebenslänglich arbeitete er, unter
ihrem Einflüsse sich an ihnen messend, an der
Verfeinerung seines Könnens. Als ich ihm
einmal beim Unterzeichnen einer Skizze von
Mommsen zusah, frug ich, während er die ersten
Buchstaben zog, ob er denn nie „von" Lenbach
unterzeichne? Er hielt ein, sah mich lächelnd
an und meinte: „In der Kunst da gibts kein
,von', da muss man schauen, dass man nachkommt!"
Als Lenbach im Jahre 1893 bei Gelegenheit des ersten Kongresses der Deutschen Gesell-
schaft zur Beförderung rationeller Malverfahren die gewählte, glänzende Ausstellung alter Meister-
werke im Glaspalast veranstaltete, hielt er eine Rede, die zu den kostbarsten Dokumenten seines
Nachlasses zählen darf, die in kurzen Zeitabschnitten immer wieder da gelesen werden müsste,
wo Kunst gelehrt, gelernt, im Geist und in der Wahrheit begriffen werden soll. Sie zeigt, mit welchem
eindringenden Ernste Lenbach die Fragen der Kunst, die ihn von Jugend auf beschäftigten, durch-
drang, wie klar er seine Erkenntnisse feststellte. Er hatte all die forschende Bewusstheit und all
die tiefe Herzlichkeit im Verhältnis zur Kunst, die er in den Reynoldschen Reden unablässig be-
wunderte. Nur fehlte ihm der breite Wirkungsboden, den Reynolds hatte, den sich Lenbach wünschte.
Diese Rede Lenbachs kann neben den Reden Reynolds' bestehen, sie enthält das Erfahrungsbekenntnis
F. V. Ijenbach. Porträt
DIE KUNST UNSERER ZEIT
173
F. V. Lenh(nli. Matlchcnkopi
eines scharf denkenden, durchgebildeten Künstlers, der, ein
gütiger Mensch zugleich, die goldene Ernte seiner umfassenden
Praxis, ein so kostspieliges und kostbares Gut, den Kommenden,
den Suchenden fruchtbar machen möchte. Noch wartet Len-
bachs mit altruistischer Begeisterung ausgedachter Plan einer
praktischen Werkstätte, in der dem Künstler alle nützlichen und
bewährten Erfahrungen in der Technik praktisch auf die er-
probteste Art übermittelt würden, der Verwirklichung. Ein
Lieblingsgedanke Lenbachs war es, eine solche Werkstätte nach
seinem Sinne zu gründen und zu leiten. Dass ihm die Stadt
oder der Staat diese Lehrgelegenheit nicht gaben, bleibt ein
unberechenbarer, unersetzlicher Verlust. Altruistisch war sein
Plan, den „Anderen" sollte er dienen, denen, die kommen, wollen, suchen werden, die auf so
vielen Irrwegen Zeit, Kraft, zu oft sich selbst verlieren : ihnen wollte er den Weg zu einer
technischen Meisterschaft, die er in der modernen Kunst so sehr entbehrte, ohne die keine reine
künstlerische Sprache erreicht wird, erleichtern, die rechte Grammatik wollte er ihnen verschaffen.
Seine Grammatik, wie hat er um sie geworben und wieder geworben, und wie hatte er sie sich
erobert als seinen grundeigenen, unnachahmlichen Besitz!
Vor dem echten Lenbachschen Können stehen die Maler erstaunter wie die Laien. Im Glas-
palast in München hörte ich einen der anerkanntesten österreichischen Maler, der selbst Lehrer ist,
vor dem Lenbachschen Porträt des Freiherrn von
Tucher sagen: „Wie man das macht — wie man das
macht — aus der ganzen Ausstellung möchte ich nur
dieses Auge als den Inbegriff vollendeter Meisterschaft
mitnehmen!" Das Auge! Es interessierte Lenbach
immer und überall, nicht nur beim Menschen, auch
beim Tiere. Das Auge eines Hundes, eines Fisches,
einer Katze, wie konnte er es bewundern ! Noch auf
einer seiner letzten Reisen interessierten ihn die Augen
eines Bockes dermassen, dass er ihn kaufen und nach
München vor seine Staffelei haben wollte. Lenbach
steigert manchmal seine Darstellungsart, im besonderen
die des Auges, bis zur höchsten Virtuosität, wie ein
Paganini, der auf der G-Saite ganze Stücke spielte,
zeigt er durch das im Auge konzentrierte Leben den
ganzen Menschen.
Ja, wie er das macht! Ob er mit Bleistift oder
F. V. i^nbacii. Lenbachs Vater KoHle, mit Pastellfarben oder Ölfarben malt, ob er
174 DIE KUNST UNSERER ZEIT
nur wenige Striche auf den Pappendeckel wirft oder ein Gemälde bis ins tiefste vollendet,
er schafft ein Leben, das sich der Wortbeschreibung entzieht, das jede Kleinlichkeitskritik
überstimmt, über sie triumphiert. Ob er durch vorbereitende Photographien sein Formen-
gedächtnis kontrollierte — mehr bedeuteten sie ihm nicht, — ob er die Hände vernachlässigte
und sich damit eines der stärksten bildlichen Sprachmittel entschlug, ob er dem konservativen
Ähnlichkeitsbegriff seine persönliche geistreiche Momentaufnahme und Momentauffassung vorzog,
jeder Versuch trägt sein Leben. Wenn er einmal die Hände malen wollte, so sprachen sie wie
seine Augen! Und wie eingehend oder wie flüchtig er malte, den grossen Strich, das, was nur
er hatte, gab er jedem Bilde mit. Die sichere Bewältigung aller technischen Schwierigkeiten
gab ihm die grosse, oft spielende Ruhe. Mit seinem findenden Blicke, mit seinem findenden Geiste
trug er aus allem Schauen und Denken Mittel in seine Werkstatt; er grübelte nie bis zur Beschwerde,
er probierte immer von neuem, kühn und wissenschaftlich dabei, ein frohes, angeregtes, lustiges
Tun und Gewinnen! Wenn man seine nach Tausenden zählenden, in der ganzen Welt zerstreuten
Gemälde nur zur Betrachtung ihrer malerischen Technik nebeneinanderstellen und auf ihre Viel-
seitigkeit und Fortschritte hin prüfen könnte, alle kritischen Erwägungen würden vor der höheren,
mit sich fortziehenden Macht der Lenbachschen Kunst verschwinden. Aus all ihrer Vielartigkeit
und Wandlungsfähigkeit stiege die Einheit des Genies Franz von Lenbachs hervor, des Genies,
das kann, was es will. Unwiderstehlich zieht es in seine Kreise, vor seinen ruhigen harmonischen
Spiegel, zum Mitgenusse seines „paradiesischen" Sehens! Er wollte das Ganze der Welt „paradiesisch"
sehen, alles Harmoniestörende ausschalten, kraft seiner Anschauung, an der die Lebenskunst, nicht
nur die Malkunst, ihren vollen Anteil hatte.
In der so indirekt und schlecht unterrichteten Aussenwelt denkt man, Lenbach sei ein Mann
der Frauen gewesen, im weltlichsten Sinne. Unhuldigend und huldigend habe er zu der grossen
Schar der Schönheiten, die zu ihm wallfahrteten, allerlei Spielarten von Beziehungen gefunden, wie
sie sich Unwählerische, Ungesättigte gerne vorstellen. Dem war in Wirklichkeit nicht so. Die
grosse Auswahl, die täglich nicht nur ihr schönstes Kleid für ihn anzog, sondern auch ihr schönstes
Gesicht für ihn aufsetzte, er sah sie im Durchschnitt nur als Objekte seiner Kunst, als Modelle.
Dieser malerische Standpunkt war von vornherein der bestimmende in seinem Verhältnis zu ihnen.
Er sah nicht das Gesicht, das sie aufsetzten, sondern das, was sie hatten, und wenn ihm das,
was sie hatten, sehr missfiel, so setzte er ihnen auch öfters in seinem künstlerischen Geschmack
ein anderes auf, gerade wie er ihnen meistens andere Kleider malte, als sie anhatten. Einer grossen
Anzahl von Frauen gab er den Ausdruck, den er ihnen wünschte, der auch vielleicht im anregen-
den Gespräch mit ihm über ihre Züge ging, ich brachte ihm einmal eine zufällig gefundene
Federzeichnung Rembrandts von dessen Frau mit der Aufschrift: „Einen Tag, nachdem wir uns ge-
zankt hatten." So könnte man unter eine Reihe Lenbachscher Frauenporträts schreiben: „Wie
sie war, als sie mit mir sprach." Sind doch die Gesichter der meisten deutschen Frauen wie
verschleiert, verschlossen — so dicht, wie die der Orientalinnen. Nur ist ihnen der Schleier, die
Decke der Schablone, eingewachsen durch den gewohnheitsmässigen, anerzogenen Stillstand
Franz von Lcnbach pinx.
Pbot. r. Hanistaengl, Manchen
Damenbildnis
r
Kranz von l.eiibach piiix
Phol. F. Hanistarnitl, MUnclirii
Lu 1 u Hey se
DIE KUNST UNSERER ZEIT
175
F. c. Lenbiich. Blinder Mann mit Kind
der Züge. Das sogenannte „gute** Betragen, das der indivi-
duellen Natur der Frau von den frühesten Jahren an strenge
Fesseln auferlegt, viel verhängnisvollere, als sich die Erzieher
träumen lassen, wirkt verödend auf ihre ZügQ. Ehe die Indi-
vidualität nur recht erwacht, steht sie schon unter der nieder-
haltenden Macht dieser Erziehung, die jedes lebendigere Mienen-
spiel eingrenzt, die der Natur keinen freien Spielraum lässt,
dies ihr Erbgut, das sie so geheimnisvoll von Individuum zu
Individuum zu tragen sucht, unterdrückt.
Die Minorität, die dem verhängnisvollen Einflüsse der
Schablonenerziehung entgeht und den Mut der Eigenart sich
erhält, ist in der Minorität, und diese Minorität verteilt sich
in kleineren Teilen auf die gute Gesellschaft des Salons und
des Bürgerhauses. Der grössere Teil gehört der guten Gesellschaft der Kunst an, zu der Lenbach
jede Frau zählte, die ehrlich bei ihrer Sache war, ob sie sang, wie Lilian Sanderson, schauspielerte,
tanzte oder — wie die Schlangenkönigin Schlangen bändigte. Eine kleine Tingeltangelsängerin,
von der er wusste, dass sie ihre Mutter ernähre, stellte er mit empfehlenden Worten, die in der
Umgebung Ehrerbietung anschlagen wollten, vor — und es war wohltuend zu sehen, mit welcher
Besorgtheit er seinerzeit das Gemälde der Schlangenbändigerin, das er ihr schenkte, als sie mit
der Hagenbecktruppe abfuhr, in einer Droschke durch seinen Diener zum Zuge schickte: „Damit's
ja an das arme Hascherl kommt!" empfahl er immer wieder.
Die Majorität der von der guten Erziehung abgestumpften, erst äusserlich, dann meist
auch innerlich still gewordenen Frauen bemitleidete Lenbach mehr wie die, die kämpfen und für
sich einstehen müssen. Wie oft war er von der ganzen Art dieser Frauen enttäuscht, staunend
sah er, welch grobe äusserliche Mittel sie
anwandten, um ihre Schönheit zu heben,
um zu gefallen, unwissend, dass nur das
seelische Leben den Blicken das Feuer,
den Zügen die Bewegung, der Schönheit
das Höhere, auch das Höhere im malerischen
Sinne, gibt. Bringt doch ein nicht innerlich
geführtes Leben der äusseren Schönheit
unvermeidlich böse Folgen ; der Strahl, den
nur die Jugend in ihrem Jugendglanze an
und für sich, unmittelbar verleiht, ver-
schwindet.
Die Frau, die vorwiegend grollt, sich
langweilt, gähnt, nur bei Dienstboten und f. c. i^nbad,. Dorfstrasse (Aresing)
176
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Schneidern das Temperament mittun lässt, in der Ehe nur den Hafen des Müssiggangs, des Flirts
findet, ihr Gesicht wird immer leerer, — unbewohnt! Wie die grosse Rahel von Varnhagen sagte:
„Das ist Gerechtigkeit auf Erden, dass, wie die Seelen, so die Züge werden!"
Lenbach sah auch über die Gesichter solcher Frauen Lichter und Schatten huschen, sah
auch in ihnen die modellierenden Spuren von dem Lachen des Glücks, von dem Weinen des
Schmerzes, das das wohl- und wehtuende Leben jedem Menschen bringt. Wo aber das Spiel des Lebens,
das mit seinen wahren Geschöpfen am kühnsten spielt, sein bildhauerisches Werk in die Züge
eingetragen hatte, da gab er in grossen, wahren Zügen dieses redende Werk wieder, wie z. B. im
Porträt von Frau Hedwig Dohm, einer Frau, die so aufrichtig beichtet, verteidigt, für ihre Erkennt-
nisse einsteht. Wie veranschaulichte er den Schmerz, den er in der Seele und in den Zügen der
Dame in Schwarz las, die als trauernde Frau ihrer Trauerklage durch Lenbachs Kunst eine Sprache
gibt, die dem von ihr Beweinten das dauerndste Denkmal setzt und lauter von Witwentrauer
spricht, als Hunderte von Genrebildern, die sie darzustellen suchen. Die nur schönen Frauen ahnten
wohl in den seltensten Fällen, wie viel wertvoller ihm die belebten, die so oft die alten waren,
malerisch und menschlich galten. Er gab der jungen Schönheit, was ihr zukam: sein Entzücken am
„farbigen Abglanz". Aber ihm als Mann und Mensch näher, wirklich seelisch nah zu treten, das war
nur wenigen Frauen gegeben. Die Vielzuvielen, die sich mit seiner Gunst schmücken, werden sich das
im Kämmerlein der Wahrhaftigkeit zugestehen müssen.
Lenbach war kein genusssüchtiger, kein unruhiger Mann. In seinem gesunden persönlichen,
liebenden, dankbaren Verhältnisse zum Leben und zur Kunst, das ihn ganz erfüllte, fand er in dem
subjektiven Sturm und Drang, der ihm auch nicht erspart blieb, immer wieder sein Gleichgewicht,
Mal- und Gedankenarbeit, Befriedigung! Noch als jüngerer Mann sagte er oft, wenn er sich aus
der lauten Gesellschaft der Huldigenden zurückzog und sie seinen Damen überliess: „Meine Frau
ist die Kunst!" Die Frauen, die er mehr oder weniger flüchtig neben ihr liebte, waren meist
„unsicher", wie er so oft bezeichnend sagte. Aber da war die Stelle, wo er seiner aufflammenden
Schönheitsfreude Opfer bringen musste, wo er seine Lebens-
gefahren erfuhr. Ein goldglänzendes Haar, ein schlanker Hals
— die übrige Schlankheit war nicht sein Geschmack, er ging
auch darin mit den Alten, mit der Antike und Rubens, — eine
ihm interessante Teintnüance, solche Sehzauber legten sich wie
farbige Schleier über sein Urteil. Er ermass erst dann die
Entbehrungen und die Opfer, die er für solchen unsicheren
Zauber aushielt, als er eine wahre Liebesehe mit einer Frau
schloss, die „sicher" nur für ihn lebte. Durch sein lebens-
längliches Liebesverhältnis zu seiner Kunst und ihrer freud-
vollen Arbeit ward er sich seiner früheren seelischen Ent-
behrungen nur zeitweise bewusst. Er wich auch diesem Be-
Zi r. Leubiidi. Kopf eine» Bauern wusstsein mit allen Möglichkeiten seiner Lebensanschauung und
DIE KUNST UNSERER ZEIT
177
F. t. Lcnbach. Knecht und Magd vom Heimathofe
des Meisters
Lebenskunst aus. Verfolgen, aburteilen, richten,
gar strafen war nicht seine Sache. Der Gemein-
heit wich er aus, „den Regenschirm aufspannen,
wenn's regnet", sagte er und spannte den breiten,
dachstarken Schirm seiner unabhängigen Lebens-
anschauung auf — und malte! Er hätte gern
immer Sonnenschein gehabt, aber er verlor keine
Kraft an utopische Wünsche, er suchte sich ein-
zurichten. Als ihn eines Tages eine Missionärin
des Weltfriedenvereins für ihre Sache gewinnen
wollte, stimmte er scheinbar zu : „Ja, ja, i will
schon Mitglied werden ! Da sorgen's aber zuerst,
dass sich die Fische unterm Meeresgrund nicht
mehr fressen, da geht's auch zu wie bei den Geheimräten über dem Meeresgrund I Und dann
gründen Sie gleichzeitig einen Verein gegen's Regenwetter. Wenn das geschehen ist, dann helf
ich dem Weltfrieden."
Im Grunde seiner fühlenden Seele wusste er zu viel vom Lebenskrieg. Er hatte das wahre
Buddhamitleid mit allem, was leidet. Wenn er bei nächtlichen Heimwegen Kanalarbeiter sich
plagen sah, griff er tief in seine Tasche. Beim Anblick eines Stiergefechtes in Spanien fiel der
starke Mann tatsächlich in Ohnmacht. Wenn ihm ein geknebeltes Tier begegnete, wenn er
eine Gruppe von den stummen, uns verfallenen Tieren in einen Waggon eingepfercht sah, brauchte
er immer eine Zeit, sich von dem Mitleidsweh zu befreien, wieder zur künstlerischen Lebensfreude
zu gelangen. Dies tiefe Schauen vom Weh der Kreatur, das war es, was seine Lebensanschauung
zu einer so grosszügigen, zu einer urchristlichen machte. Jeder Existenz, jeder Individualität
ward er gerecht, er verfiel nie in den unheilvollen, allgemeinen Fehler, den anderen nach dem
eigenen Mass und Geschmack zu beurteilen. Die mit ihren Prinzipien massen, die zählte er zu
den Ungerechten. „Was helfen Prinzipien", meinte er, ,,die hat man wie gesattelte Pferde im
Stall stehen, und wenn sie ein Temperamentsmensch reiten will, werfen sie ihn ab. Und der
echte Prinzipienreiter verfüttert sein bisschen Verstand für sie". Wer wie Lenbach in sich die
Buddhakraft trug, die zu empfinden zwingt: „Der andere bist Du", der beruhigt, versteht, beschenkt,
was zu ihm kommt. Aber er bedarf vor der Gewalt des Mitleids, vor dem Schrecken des eigentlichen
Wissens der Weltflucht! Und Lenbachs Weltflucht war seine Kunst. Ihm war es vor seiner Staffelei
so wohl, ob sie in Schrobenhausen, in Aresing, in Weimar, in den Sälen des Prado, in Madrid
oder in Makarts Nebenzimmer in Wien, in Varzin und Friedrichsruh oder im Palazzo Borghese
in Rom oder in seinem königlichen Atelier in München stand. Von ihm gilt, was er von Makart
sagte: „Weisst, wenn dem sein Haus und sein Atelier abbrennt und man stellt ihm einen grossen
Käfig in den Garten und Staffelei und Leinwand und alles dazu, so geht er in den Käfig hinein
und malt ruhig weiter".
178
DIE KUNST UNSERER ZEIT
F. V. Lenbavh. Sonnenbad
Schaffen, künstlerisch Schaffen war Lenbachs alle Kämpfe
und alle Depressionen überwindende Lebensfreude. Wenn man
nach Monaten in sein Atelier kam und neben seiner grossen
Kunst auch die grosse Zahl der entstandenen Werke bewunderte,
meinte er: „Das ist doch nicht zum Staunen, ich tu' ja auch
nix als malen". Er war schwer zu anderem Tun zu überreden.
Nur wenige weltliche Vergnügungen lockten ihn. Das heutige
Theater fand er grob in seiner Ausstattung, die „Spritzlichter"
waren ihm entsetzlich, die grellen Theatereffekte beleidigten sein
Schönheitsgefühl, gingen gegen das, was er den „Takt" in der
Kunst nannte. Von den Konzerten hielten ihn die langen, zu-
sammenhanglosen Programme zurück. Zu Spaziergängen hatte
er, dem Tätigkeit Freude war, keine Geduld. „Die Berge achte
ich, aber ich liebe sie nicht", sagte er. Wenn man ihm die gesundheitliche Bedeutung des
Spazierengehens vorstellte und ihn dazu überreden wollte, zitierte er gerne den Schrobenhauser
Schuhmachermeister, der nie ausging und sechsundachtzig Jahre gesund blieb.
In all seiner hohen persönlichen Kultur blieb er in den Lebensgebräuchen der einfachste,
bedürfnisloseste Mensch. In der Jugend, nach einer schweren Erkrankung, lebte er jahrelang von
Milch und Brot, trennte sich dann schwer von der vegetarischen Nahrung und sprach oft und
immer mit Begeisterung von dem Hausbrot, das seine Mutter damals buk. Während seines ersten
italienischen Aufenthalts, der Landessprache nicht mächtig, bestellte er sich mit dem Worte „anche"
sein „Manzo" (Rindfleisch) und Risotto. Und lebenslänglich zog er ein Suppenfleisch allen
Delikatessen vor. Seine einfache Lebensweise trug sicher ein gutes, segensvolles Teil zu seiner
Krafterhaltung bei. Schaffte er doch mit den kürzesten Unterbrechungen von morgens bis abends,
immer geistig beschäftigt, gepackt, interessiert! Und allem, was ihn interessierte, ging er auf den
Kern. Er besass die umfassendste Kenntnis aller bildenden Kunstschätze Europas, er vertiefte sich
in die Betrachtung ihrer Nachbildungen, in die Biographien ihrer Meister, und was ihn freute, trug
er unter sein Dach. Gute Nachbildungen schätzte er hoch ein. An seinem Geschmack, an seinem
angeborenen, unbeirrbaren Schönheitssinn hatte er den auserwähltesten Führer. Wohin der nicht
mitging, drehte er um. Wo er aber hinführte, da ward Len-
bach kein flüchtiger Gast, da blieb er aus Liebe. Und was
ihn interessierte, das liebte er, in dem Sinne, dass er seine
ganze freudige Wärme einsetzte, ein Zusammenhang, der in
seiner gefühlsstarken, unmittelbaren kindlichen Natur begründet
war. An Lenbach bestätigt sich deutlich die scheinbar gewagte
und doch aus der Wahrheitsquelle der Erfahrung geschöpfte
Erkenntnis: dass ein sicherer Massstab für das echte, natürliche
F. r. Liiihiiih. Der rote Schirm Ufwcsen eines Menschen in dem lebendigen unmittelbaren Besitz
DIE KUNST UNSERER ZEIT
179
von Kindlichkeit besteht, den ihm die Kultur nicht entreissen konnte. Lenbach hat innerhalb
seiner mächtigen Entwicklung das Kindliche behalten, das ja auch zugleich das Unbefangene,
Vorurteilslose, Gütige, Liebevolle ist. Keine noch so scharfe, intellektuelle Fähigkeit — so sicher,
wie seine Brille, benützte er seine Intelligenz, — entfernte ihn von der Schätzung, die sein Gefühl
ausgab, so oft er auch bei dieser Schätzung in Veriust geriet, betrogen und ausgenützt wurde. Er,
der zu einer leichtgläubigen Optimistin, die sich einen wohlbedachten Tauschvorschlag, im
Glauben, es sei ein freundschaftliches An-
erbieten, an ihn auftragen liess, lachend
sagte: „Ein Schutzengel hast, wie ein
Hausknecht!" Er hatte einen herkulischen
Schutzengel. Aber: das grosse Fazit seines
Lebens sprach zu seinen Gunsten, ein so
warmer Mensch wagt mehr, aber er ge-
winnt auch mehr. Im Gewinn und im
Verlust ward auch Lenbach der Reiche in
sich. Er führte eben nicht den kleinlichen
Haushalt, in dem nur das kleine Einmal-
eins, das Mein und Dein, das täglich Ein-
nahmen und Ausgaben geordnet sehen will,
die ökonomische Wirtschaft bestimmt. Er
rechnete mit der Einsicht in den Gross-
betrieb des Lebens, an ihm gemessen sah
er das Eigene in verjüngtem Massstab und
ward durch den Ideengang, zu dem sein
Fühlen und sein Erkennen führte, der ver-
söhnenden Überlegenheit teilhaftig, die zugleich Bescheidenheit ist, die „sich bescheidet." Vermöge
seiner grossen Lebensanschauung, die die Unabänderlichkeit der Dinge schauernd einsah, wich
er dem Weltschmerz aus. Er spielte! spielte so lustig und interessiert mit der Kunst, mit der
Natur, mit den Karten. In der historischen Allotria, wo er viele seiner Feierabende verbrachte,
wo klassische Zeugen seines Humors, wie das Gemälde des Fisches und der Henne, die Wände
schmücken, da tanzte sein Witz über alle irdischen Dinge hinweg, da lachte er über das Kunter-
bunt des Welttheaters und — spielte. Wer auch mit ihm tarokte, ob dieser verlor oder gewann,
menschlich gewann er immer.
Das Welttheater! Wer von seinen Zeitgenossen kannte es, wie er? Er kannte die
Bühne und die Kulissen, die Throne und die Versenkungen, die Übeltäter und die Helden,
die Statisten und die Souffleure. Wenn er mit dem tiefen Ernst seiner Erkenntnis in das
Welttheater hineinsah, wenn er davon sprach, erfassten ihn so echt, so erschütternd, wie es
die antike Tragödie hervorruft, Schrecken und Mitleid. Er flüchtete, um sie zu vergessen, er
XVI 27
F. V. Lenbach. Landleute vor einem Unwetter flüchtend
ISO
DIE KUNST UNSERER ZEIT
vergass sie an seiner Kunst. Er spielte! Wie Wilbrandt von ihm sagt: „zuerst von einer grossen
Erscheinung stark gepacict, tief erfüllt, dann die zum Sehen geschaffenen Augen mit berufsmässigem
Ernst und Eifer spannend, dann frisch in einen Genuss hineintauchend, zuletzt mit ansteckender Satyr-
fröhlichkeit seine unzerreissbare Fahne schwenkend, den göttlichen Humor, der ihm noch jedes Erden-
leid unter die Füsse zwang." Er spielte, aber mit tiefem Sinn und Sinnen. Sein Geist verband ihn
intim mit allem Verwandten. Von Tizian und Rubens, von Velazquez, von Reynolds sprach er wie von
Menschen, mit denen er entzückt, begeistert, unter ihrem Einfluss stehend eben verkehrte, wärmer,
unmittelbarer als von den Kollegen, mit denen er äusserlich lebte. Alles, was je über sie
geschrieben wurde — das Memoirenhafte, unmittelbar von ihnen Kommende, zog er vor, — hatte
er gelesen. Mit der tiefsten Gründlichkeit hatte er ihre Werke geschaut, ihre Entwicklung verfolgt.
In ihre Technik drang er ein, wie in ihr persönliches Leben. Er liebte sie mit dem leidenschaft-
lichen Feuer, mit dem die warme Seele das einmal Erkannte, Bewährte, das ihr wirklich Verwandte,
Fruchtbare, Treue festhält und feiert. Wie konnte er seine alten Meister immer wieder bewundern,
mit Andacht und Ehrfurcht! Wie wies er immer wieder auf die unsterbliche Schönheitsgewalt
und auf die unsterbliche Lehrkraft ihrer Werke hin, wie rief er sie auf, als die Modernen eine
neue, von ihnen losgelöste, ganz befreite Kunst auf ihre Kriegsfahne schrieben ! Wie ordnete er
sich den alten Meistern unter! Als ich ihm eines Tages von einem jungen Künstler die Ver-
sicherung bestellte, er, Franz von Lenbach, sei und bleibe sein Ideal, frug er mit seinem reizenden
Humor: „Meinen Sie's gut mit dem? Sagen Sie ihm, er soll sich gscheidter an Tizian halten".
Er hielt sich durch sein ganzes Leben und Schaffen hindurch an Tizian, an Rembrandt, an
Rubens, an alles Grosse der alten Kunst und an die Urquelle, von der sie nicht trennt, sondern
zu der sie führt, an die Natur. Auch in diesem Sinne blieb sein Leben eine harmonische Einheit.
Seine Wesensart löste alles in sie auf, und wenn man seine Entwicklung überschaut, nichts stört
diese Einheit. Aus jeder Meinung, aus jedem menschlichen und künstlerischen Tun spricht sie ihre
Sprache. In allen Enwicklungsphasen, in allen Arbeiten, in allen Kämpfen und Enttäuschungen,
in allen Erfolgen blieb er sich im Wesensgrunde gleich, an allem erstarkte seines Wesens Einheit,
dieser gesunde Urboden liehe Dezembernacht war
seiner Kunst. ^^|Hi^flHl '11 ^s* ^'^ '"^ Weihnachts-
Es war ein warm- ^^i^^g- 3Wfca^^ monat des Jahres 1836
herziges, energisches und IH ^^^^B^M^L^^^HI^ ^ Lenbach „das Licht der
lebenslustiges Kind, dieses ,^ ä^^^^^^^^^^^Vw^ Weit" erblickte. Diese
Landbaumeisterskind ■jj^^^^^^^^^^V^ ^- ^^^' Kinderaugen,
Schrobenhausen,das unter ^^^^^^^^^^H^^JÜBM^ -Aji^ waren berufen und aus-
sechzehn Geschwistern in ^^^^H^^^^^Ea ^^^ erwählt, das Licht, die
den bescheidensten Ver- ^^|^^^^^^^vHr^lH|^ Sonnenseite dieser Welt
wahren ^^■^^^^^^■|m|^^^^F zu
Sinne des Wortes „gross" FJI^H^^HJJ^^^^HHBIIHshM grundlegender erziehe-
wurde. Keine Werktag- /". r. uubarh. Kseistudie rischer Lebenssegen Len-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
181
bachs gewesen sein, dass er in der länd-
lichen Stille eines von malerischen Mauern
und Türmen umgebenen Städtchens auf-
wuchs, das, wie er gern sagte, nicht viel
grösser war als der Münchener Glaspalast.
Kein Talententdecker tauchte glücklicher-
weise in dem weltfernen Neste auf. In dem
kinderreichen Hause des Landbaumeisters
Lenbach ward dem einzelnen keine Be- l^"'^^'^'' ""^ ^'^'"'^ Reisegesellschaft in AKypto.
obachtung zuteil, die Individualität behielt ihre pflanzliche Ruhe. Zu der pflanzlichen Ruhe, zu
dem ungestörten Einsaugen von Luft und Licht, zu dem Raufen und Spielen im Freien, das
Lenbach ein lustiges Räuberleben nennt, bei dem es auf ein paar Löcher im Kopf nicht ankam,
traten die einheitlichen Eindrücke, die des Vaters Handwerk mit sich brachten. Von diesem Vater
gingen die stärksten Eindrücke aus, die das Kind und der Knabe Franz empfingen. Natürlich
sah der Knabe dem intelligenten Vater beim Hantieren, beim Zeichnen und Bauen zu, und sein
Sinn für rhythmische Bewegungen und feste Normen wurde ohne jede unterbrechende Zerstreuung
auf einheitliche Art geweckt. Der weise erfahrene Erzieher würde keine andere Methode wählen :
die Anschauung einer Tätigkeit, die dem Kinde nur Fassbares im Spiel einfacher Erscheinungen
zeigt, in denen eine Zweckmässigkeit zu so sichtbarer gesetzmässiger, rhythmischer Geltung
kommt, wie beim Bauen; „wo eins das andere sicher trägt, wo die Gemeinschaft Kraft zu Kraft
vereint." Diese gesunde Schulung der kindlichen Anschauung wurde von der Schrobenhauser
Lernschule nicht gestört.
Eine unbegrenzte Ungebundenheit zu Gunsten seiner gesunden inneren Entwicklung genoss
er bis zu seinem elften Jahre, bis ihn sein Vater in die Gewerbeschule nach Landshut schickte.
Erst da lernte Lenbach eigentlich lesen
und schreiben. Es ist charakteristisch für
ihn, dass er in der Religion schwach be-
funden wurde, sich aber in der Mathematik
auszeichnete.
Als Lenbach mit vierzehn Jahren in
sein Elternhaus zurückkehrte, beschäftigte
ihn sein Vater beim Plänemachen und
Bauen ; das Bauen freute ihn mehr als das
Plänezeichnen; an einer Kapelle durfte er
zu seiner Freude selbständig eine Mauer
aufführen. Die Handwerkstätigkeit hielt ihn
nicht fest, sie genügte dem erwachenden
Maler nicht. Ermutigungen und Förderungen
Lenbacli und seine Reisegesellschaft in Ägypten
182
DIE KUNST UNSERER ZEIT
F. r. Lenbacli. Flucht nach Ägypten
trug ihm der Zufall zu. Ein altes Bild,
eine Kreuzabnahme von Christof Schwarz,
eines Ingolstädters aus dem 16. Jahrhundert,
kopierte er so, dass es kaum von dem
Original zu unterscheiden war. Aber erst
der Tod seines Vaters brachte die äussere
Entscheidung, die Wahl des Malerberufes.
Der erste, der Regel folgende Schritt führte
ihn in die polytechnische Schule nach
Augsburg. Aber wie tot war ihre Lehre
gegen die freie Wald-, Wiesen- und Gassen-
schule von Schrobenhausen, wie wenig bedeuteten ihm die mühseligen Zeichnungen nach Julien-
schen Lithographien ! Als Sonntagsfreude, als Erholung versuchte er, in Ol zu malen. In einem
Nadlergesellen, der eine grössere technische Erfahrung hatte, fand er einen Kameraden. Er blieb
nicht bei ihm, er vcrliess den Zeichenlehrer wie ihn; er flüchtete sich zu den Alten in der Augs-
burger Galerie und kopierte. Lange hielt er dieses der Natur abgewandte Tun nicht aus. Ihn
zog es nach Schrobenhausen zurück in die Freiheit, in die Nähe des Malers Hofner, der, nur
vier Jahre älter als Lenbach, auch ein Maurersohn aus dem bei Schrobenhausen gelegenen Dorfe
Aresing, ein starker Anziehungspunkt für Lenbach war. Hofner hatte schon eine gewisse Kunst-
übung voraus und konnte Lenbach technisch anleiten.
Das kleine Gemälde, „Der erste Versuch nach der Natur in Öl", wie Lenbach selbst an
das Bildchen schrieb, ist ein Zeuge seiner künstlerischen Kraft, sein erster verheissungsvoller
Schritt auf dem Wege zur eigenen Kunst. Achtzehn Jahre war Lenbach alt, als er dieses malte.
Damals hielt er Hofner für den Talentvolleren. Nur fiel ihm allmählich auf, wie sich Hofner mehr
quälte als er. E r malte mit ununterbrochener Leichtigkeit und Lust. V/as ihm nicht genügte,
stellte er zurück und fing Neues an. Alles Getane war ihm ein Ansporn fürs Kommende.
Er malte alles, alles, was ihm unter die Augen kam, wie er selbst sagt : „Pferdehufe, ganze Pferde,
halbnackte Bauernjungen oder auch bloss ihre Beine und Füsse, wenn sie diese von einem Zaune
oder einer kleinen Erhöhung herabschlenkern Hessen, wo es starke Schlagschatten gab. Mit Vor-
liebe malte ich auch halbverfallene, zu den Bauernhäusern emporführende Steintreppen in starker
Beleuchtung. Besonders gefielen mir auch die grossen Strohhüte und Sensen der Bauern ; ich
malte mit einem Worte alles Mögliche mit einer wahren Leidenschaft und rastlosem Fleisse. So
kam es, dass ich schon mit sechzehn Jahren mein Brot als Maler zu verdienen anfing. Ich malte
alles, was vorkam, besonders Votivbilder. War irgendwo ein Unglück geschehen oder ein Bäuerlein
aus drohender Lebensgefahr errettet worden, so musste ein Bild nach Altötting gestiftet werden.
Auf so einem Bilde standen oder knieten wie Orgelpfeifen der Bauer, die Bäuerin und die Kinder
nach der Grösse aufgestellt. Ich bekam einen ganzen Gulden per Kopf und das machte bei
fruchtbaren Familien oft eine recht hübsche Summe. Mein Ideal war damals, täglich einen Gulden
DIE KUNST UNSERER ZEIT 183
zu verdienen, und ich war dabei viel glücklicher als später, wo mir die Gulden viel zahlreicher
ins Haus kamen. Ich malte nicht bloss Votivbilder, sondern auch Porträts, Schützenscheiben,
Rahmen, Schilder und anderen Kram dieser Art."
Der Begnadete, der Auserwählte hat eine Stimme in sich, die nicht verstummt, die stärker
ist, als alle wirklichen Stimmen der Aussenwelt, die sich wie eine treibende Kraft über alle Tages-
stimmen hinaus geltend macht, die wie ein Columbusglaube führt!
Diese führende Stimme gab Lenbach alle Energien, die ihn „seinen" rechten Weg finden lehrten.
Sie war es, die ihn morgens um vier Uhr weckte, ihn einen fast sechzehnstündigen Fussmarsch,
den er oft barfuss ging, nach München zurücklegen liess, manchmal nur, wenn er besonderes
Verlangen hatte, seine Lieblinge in der alten Pinakothek zu sehen. Wie ein Gläubiger vor den
Hochaltar, so ging er zu ihnen. Es ist ein Bild voll Wirklichkeitspoesie: der grosse, elastische
blonde, jünglinghafte Mann, der fliegenden Schrittes die stille Strasse geht, nach dem Wahrzeichen
Münchens, den Frauentürmen, ausspähend, schöne Bilder als Wegziele im Sinn. Die frommen
Märchen von wegweisenden Engeln, von führenden Sternen, von dem überirdischen Vogel, der
neben dem wandernden Knaben herfliegt und ihm ins Ohr singt: „Wandre nur zu, König wirst
Du!", alle die Wunder, durch die der Mensch der geheimnisvollen Gewalt einer inneren Stimme
Gestalt geben möchte, werden bei der Vorstellung dieses frohen Wanderers wach. Er war glücklich
unter der Führung dieser Stimme. Er fühlte: „Die führt zu meinem Land, zu meinem Paradies,
ich mal' es mir". Es war die Zeit einer köstlichen Selbstentdeckung, die dem Begnadeten offenbart:
Wo Dein Wille ist, da ist Deine Kraft, — fern von dem schrecklichen Zwiespalt, mehr zu wollen
als zu können.
Und alles Können kam über Lenbach wie eine Gnade. Welche freie Sicherheit spricht aus
der Zeichnung: „Bei der Nacht hab' ichs gemacht", welch ein Finden und Geben des Wichtigen !
Welche Kraft offenbart sich in den frühesten Porträts seiner Umgebung, aus denen der Bauern und
Dienstboten ! Was an Leibl als höchstes Resultat mühevollster Arbeit, als Ereignis gerühmt wird,
da ist's getan, spielend und malerischer getan ! Es war die innere Stimme oder der herkulische
Schutzengel, der Lenbach immer wieder nach Schrobenhausen-Aresing zurückführte. Kurze
Stationen in einer Bildhauerwerkstätte, im Atelier des badischen Hofmalers Gräfle, eines Schülers
Winterhalters, trugen nur zu seiner energischen Rückkehr zur Natur, zu seiner Selbständigkeit bei.
Einen Teil der da entstandenen Studien brachte Lenbach eines Tages zu dem damaligen
Grossen von München, zu Piloty. Dieser forderte ihn sofort zum Eintritt in seine Schule auf,
die Lenbach während zweier Winter besuchte; im Sommer blieb er auf seinem Lande im Freien,
in der Sonne. In der Zeit, die er zum Teil in der Pilotyschule verbrachte, malte er die zwei
Bilder: Bauern, die sich vor einem Gewitter in eine Kapelle flüchten, und den Titusbogen. Das
Bauernbild stellte er im Münchener Kunstverein aus und erhielt dafür 450 Gulden, mit dieser
Summe noch ein Staatsstipendium von 500 Gulden. Vermöge dieses „Reichtums" konnte
er den Traum einer Reise nach Italien verwirklichen, Piloty begleiten! Welche ersehnte bunte
Fahrt, mit der Post nach Innsbruck, Verona, Mantua, Bologna, Florenz, Rom! — „In dem
184 DIE KUNST UNSERER ZEIT
für mich bedeutungsvollen Jahre 1858 erlebte ich also meine zwei ersten Monate in der ewigen
Stadt, ich muss gestehen, dass ich damals in eine Art Sonnenfanatismus hineingeriet, wie jetzt
die Parole , Licht, mehr Licht !' Mode geworden ist. Es war ein famos farbiges Treiben, was mir
damals vorschwebte und woraus das grosse Bild ,Der Titusbogen' entstanden ist. Ich stellte
dar, wie in aller Frühe die Campagnolen durch den Bogen ziehen — so ungefähr ä la
Robert — ein Vorgang, der mir ausserordentlich gefiel. Immer zwischendurch in diesem
begeisterten, ja fanatischen Studium nach der Natur habe ich, wie ein kleiner Verbrecher,
der sich dunkel bewusst ist, dass er auf unrechtem Pfade wandelt, nach meinen geliebten Museums-
gefangenen, den Werken der grossen Meister hinübergeschielt und habe Velazquez, Giorgione,
Tizian u. a. im geheimen als meine Heiligen angebetet; diesen Halbgöttern gegenüber war ich aber
durch mein praktisches Tun in eine schiefe Stellung geraten." Diese charakteristische Schilderung,
die eine wahrhaftige, zu der Kenntnis des Malergeistes von Franz von Lenbach grundlegende Skizze
aus einem bedeutenden Moment seiner Entwicklungsgeschichte ist, gibt dem Bilde des Titusbogens
einen wertvollen, interessanten Hintergrund und bezeichnet mit seinen eigenen Worten sein
dauerndes Verhältnis zur Natur und zur Kunst, wie er immer weise und temperamentvoll zugleich
abwog und keiner der beiden geliebten Grossmächte untreu werden konnte. Mit den grossen Ein-
drücken aus Italien kehrte er in die bayerische Dorfheimat zurück. Die italienischen Kinder, die er
als Staffage seines Titusbogens brauchte, malte er in Aresing. „Um sie als kleine Italiener malen
zu können, musste ich mir die germanischen Knirpse von Aresing erst braun brennen. Die Jungens,
denen ich königliche Geschenke machte (6 bis 12 Kreuzer), begeisterten sich für mein Projekt
und lagen tagelang in der Sonne, bis ihnen die Haut abging. Einer von diesen Gebrannten,
gemalt im Jahre 1859, hängt in der Schack-Galerie. Solche Bilder malte ich damals viele."
Von diesen vielen sind köstliche in der Lenbachausstellung zu sehen, voll Sonnenlicht, wie
das der Strasse von Aresing, wie das der beiden Knaben am Rain, wie das sonnengoldene Bild
mit dem roten Schirm. Den roten Punkt, ob er ihn in der Mütze des Bauernjungen fixiert oder
in dem aufgespannten, roten Schirm, er hielt ihn fest, den geliebten Brenn- und Feuerpunkt in
seiner Farbenskala.
In diese sonnenfreudige Zeit der Freilichtmalerei, die seine freigewählte Naturschule war,
fiel der Ruf Franz von Lenbachs an die Kunstschule in Weimar. Piloty, der ihn vorgeschlagen
hatte, Hess ihm die überraschende Nachricht durch einen athletischen Boten mitteilen und um
sein schleuniges Kommen bitten. Und Lenbach im Vollgefühl seiner körperlichen Kraft rannte
mit dem Riesen und dem Stellwagen um die Wette nach München. Auf halbem Wege ward
der Riese lahm, — neun deutsche Meilen wollen gerannt sein, — aber Lenbach huschte
weiter, „wie ein Wiesel". Er hatte Freude an seiner Schnell-Laufkraft, eine Freude, die oft zum
Ausdrucke kam, auch als er mir erzählte, wie ihm eines Tages in Neapel, als er an einem Vorfenster
stand, die Brieftasche mit seinem ganzen Reisegeld gezogen wurde. Er sei dem gewandten Dieb
nachgerannt, ohne ihn zu erwischen. Ich frug, ob er sich geärgert habe? „Nein, gefreut hab' ich
mich, dass ich so laufen kann I"
DIE KUNST UNSERER ZEIT
185
So lauffroh ging er seiner Professur entgegen, die ihn aber nicht lange hielt. Er, mit Böcklin
und Begas, die zugleich mit ihm berufen waren, kamen zu früh in die Goethestadt, die neue
Schule war noch nicht fertig. Sie sahen sich die Umgebung an, entdeckten auch gute Tropfen
und debattierten im Freien und unter Dach über die Kunst und ihre Geheimnisse. Nach
anderthalb Jahren trieb Lenbach die Erkenntnis fort, dass er lernen müsse, anstatt zu lehren.
Und wie viel er schon konnte, beweisen die Gemälde aus der Weimarer Zeit, die er zu lustiger
leichtsinniger Stunde das Stück um einen Gulden
verkaufte und damit den Käufern Schätze schenkte.
Mit dem energischen Abschütteln der Professur ging
Lenbach wieder zu seiner ganz freien Lebensführung
zurück. Eine Kopie nach dem Rubensschen Ge-
mälde, Helene Fourment, mit ihrem Kinde auf dem
Schosse, brachte ihm indirekt die Beziehung zu
dem Grafen Schack. Und Lenbach war es, der den
Grafen Schack durch die Energie seiner begeisterten
Überzeugung zu dem Kopieren alter Meisterbilder für
seine Galerie bestimmte. Um ein jährliches Gehalt
von tausend Gulden und den Ersatz der Reisespesen
übernahm Lenbach diese Aufgabe, der ersehnten Reise-
und Malgelegenheit froh.
Lenbach behauptete immer, er habe seinen Auf-
enthalt im Prado, so weit es nur menschenmöglich
war, ausgenützt. Vom frühen Morgen bis zum sinkenden
Abend — als Tagesmahlzeit eine Flasche Wein und
ein Stück Brot dabei — habe er gemalt und gemalt.
Er verliess Spanien unter dem Eindruck der klaffenden
Gegensätze: Kunstschönheit, Naturschönheit, Menschenschönheit, aber keine Heimstätten für
Menschen, kein Mitleid für Tiere und Menschen, Roheiten überall.
Im Jahre 1867 kehrte Lenbach nach München zurück mit einem neuen Reichtum von
künstlerischen und menschlichen Eindrücken und Anschauungen. Bei seinem umfassenden Interesse
an allen Erscheinungen, bei seinem Schauen war der Kreis seiner Malobjekte weit gezogen,
und nur als Frucht weiser Beschränkung und zugleich menschenzugewandten Erkennens gab er
dem „Menschenmalen" das Vorrecht. Seine Jugendwerke zeigen, mit welcher Sehkraft und
Freude er Tiere und Landschaften wiedergab. Lebenslänglich hatte er den Wunsch, über die
Grenze des Porträtmalens hinauszugehen, wie in dem Bild: „Allegorische Szene". Aber
ein Auftrag nach dem anderen hielt ihn fest. Seine erste Porträt-Ausstellung in München
erregte allgemeines Aufsehen und — Kopfschütteln. Das war anders, als das Bisherige
von heute, ganz anders. Das war fremdartig, stand selbständig da, warb nicht mit
/''. V. lA'iibdcli. Arnold Böcklin (Jugendbildnis)
186
DIE KUNST UNSERER ZEIT
äusseren Effekten, erinnerte wohl an die Malart der Alten, hob sich aber durch die Ähnlichkeit
mit ihnen keineswegs auf, ein grosses ureigenartiges Etwas machte sich kraft seiner Selbstherrlich-
keit geltend! Das vielköpfige „Man" weiss sich mit Selbstherrlichem zuerst nie zurecht zu finden,
das vielköpfige, schwankende, autoritätsbedürftige — oder leithammelbedürftige „Man" setzte
hinter den Namen Franz von Lenbach ein staunendes, erwartungsvolles, neugieriges Fragezeichen,
viel bereiter zu zweifeln als zu glauben! Es liegt in der Natur des deutschen „Man", jedem
unbekannten Anderen, Grossen zuerst misstrauisch zu begegnen, ja: es zu bekämpfen. Die Grössen
aller Zeiten hatten der deutschen Allgemein-
heit, diesem „Man", keinerlei Beistand in
den Kämpfen ihrer Entwicklung zu danken.
Es hat ihnen gegenüber keinen Grund zum
Stolzsein auf sein Urteil, nicht einmal zu
einem guten Gewissen. Siehe Dürer, Goethe,
Bismarck, Schopenhauer! Ist aber einmal
sein bösartiger Widerstand durch beharrlich
eindringende Kraftproben überwunden, so
wird es in blitzartigen, unvermittelten Über-
gängen stolz auf das, woran es kein Ver-
dienst hat. Der Deutsche ist der Zweifler
an sich! Dem Neuen, ihm Fremden in der
Kunst tritt er von vornherein schon ver-
neinend gegenüber, wenn er nicht durch
Hörensagen, durch das Ohr, voreinge-
nommen wurde. Dem geprägten fremden
Urteil traut er mehr wie seinen eigenen
Augen. Eine verhängnisvolle Urteilslosig-
keit in der Kunst liegt sehr tief bei ihm,
hängt mit der methodischen Unterdrückung
aller Ursprünglichkeit durch die Schule zusammen. Sie ist die Hauptmitschuldige, dass unter den
50 Millionen gutunterrichteter Deutscher Millionen von Menschen den wahren, freudebringenden
Weg zur Kunst nicht finden. Sie stellt gedächtnismässiges Wissen an die Stelle von lebendigem
Schauen. So beurteilen ihre verstandesgeschulten Schüler mit dem Intellekt, was gesehen, empfunden
sein will, so besteht der Niederstand des mutigen Erkennens und Ernennens in Deutschland. Da
gilt, was Lenbach oft von dem Einzelnen sagte: „Der ist ein gescheiter Kopf, aber Augen hat er
keine." Und Augen hatte das vielköpfige ,,Man" keine für ihn, als die ersten Lenbachbilder
erschienen und zum Erkennen und Ernennen die frohe Gelegenheit gaben.
So kommt von dem vielköpfigen „Man" dem Werdenden keine Hilfe, sie kommt ihm immer
nur von der Minorität. Aus dieser Minorität, die seine Schutztruppe ist, traten auch Lenbach seine
1' . C. l.riii,
Adolf Wilbrandt
Vran/. von Lciibacli piiix.
Pbot. K HaiitsUviiKl, MUnclivn
Karl von Piloty
Franz von Leiibach piiix.
Ph.it. ^. M:iiil<l.ioii4!l. MuM.h, 1.
Allegorische Szene
DIE KUNST UNSERER ZEIT
187
Brückenbauer entgegen. Einer der ersten war Theodor Heyse, der kunstsinnige Philologe, der, durch die
Kopie von Rubens' Frau von Lenbachs Kunst überzeugt, Schack auf sie aufmerksam machte. Jetzt war
es Moritz von Schwind, der Lenbach nach Wien empfahl, Schwind, dessen merkwürdigen Kopf Lenbach
damals malte, der nicht so sanft war, wie seine Gemälde sind. Er hatte einen zornigen Mut der
F. V. Lenbach. Alois Hauser
eigenen Meinung, der Lenbach anzog. Schwinds Antwort auf die Bemerkung, Beethovens neunte Sym-
phonie sei doch zu lang: „Nein, mein Lieber, Sie irren sich, Sie sind zu kurz", die war vom Geist,
der ihm gefiel und den er in übersprudelnder Fülle besass. Schwind öffnete Lenbach eine Salontüre,
und bald standen sie ihm alle offen und in allen war er gesucht, gerufen, gefeiert. Es war damals
die Zeit Makarts, mit dem sich Lenbach eng befreundete, eine Zeitlang malte er als dessen
Gast im Vorderraum seines Ateliers. Lenbach stand alsbald in dem Mittelpunkt der Wiener
Geselligkeit. In den merkwürdigen Salons der Gräfin Marie Dönhoff, die in Wien die „Musik-
gräfin" hiess, der jetzigen Fürstin Bülow, bei Frau Josephine von Wertheimstein, bei der
Baronin Sophie Todesco, überall fand Lenbach Beifall, Bewunderung, Verständnis. Er lernte alle
XVI 28
t88
DIE KUNST UNSERER ZEIT
F. c. Lcnl/ac/i. Albert Riegner
grossen Musiker, Dichter, Politiker des da-
maligen Wien kennen, von dem die Er-
innerungen Adolf Wilbrandts ein so leben-
diges, anziehendes Bild geben. Er erzählt
auch, wie Lenbach in Wien die Geselligkeit
über den Kopf wuchs und wie er sich durch
Ausbleiben und Nichtworthalten half.
Denn: er malte, er malte die Grossen,
an erster Stelle den Kaiser Franz Joseph,
er malte die Schönen, die Guten, seine
Freunde. Der Versuch seiner Anhänger,
Lenbach in Wien als Direktor der k. k. Ge-
mäldegalerien festzuhalten, gelang nicht. Als
er in der grossen Ausstellung im Jahre 1873
in Wien ausstellte, hatte er schon seine Macht
ermalt, war er schon in den „Einzigenstand"
von Genies Gnaden erhoben.
In diese Zeit fällt seine Reise mit Makart
nach Ägypten, von der die Gruppenbildchen
stammen, die Lenbach in seiner jugendlichen Schlankheit in Gesellschaft Makarts und seiner
Freunde zeigen. Makarts Ruhm war damals ein Weltruhm und bereitete den Reisenden einen
festlichen Empfang vonseiten des Khedive Ismael Pascha und eine gastliche Aufnahme in einem
verwilderten Palast, der so gross war, dass sie, ehe sie zu malen begannen, eine ganze
Reihe von Türen vernagelten, um sich nicht immer wieder zu verirren. Lenbach reizten die
bronzefarbenen Typen des Landes, von denen sich einige in der Lenbachausstellung finden.
Das Land Ägypten fesselte ihn nicht auf die Dauer, es zog ihn nach Wien, nach München,
nach Italien zurück. Seine ermalte Unabhängigkeit erlaubte ihm, sein Quartier in Rom auf-
zuschlagen ; es war ein anderes Quartier, als das aus den sechziger Jahren in der Via Sistina,
im Palazzo Borghese in Rom, in dem er sieben königlich eingerichtete Riesensäle bewohnte, in
dem er königliche Feste gab, in dem er, ein gefeierter Mann, feierte und arbeitete. Das
grosse kosmopolitische Bild Roms nahm er in sich auf. Er malte Weltleute und Volksleute,
alles, was ihm gefiel, — auch den Papst. Der Auftrag eines Kirchenbaukomitees führte ihn
zu der ersten Audienz, bei der der Papst angelegentlich nach Bismarck frug und für ihn und
den auserwählten Berichterstatter ein solches Interesse gewann, dass er sich Bismarcks Porträt
bei Lenbach bestellte. Diese Bestellung, an der auch Bismarck sein witziges Vergnügen
hatte, wurde ausgeführt, aber die politische Türpolizei liess den Vater des Kulturkampfes nicht
in den Vatikan. So hängt jetzt der für den Papst gemalte Bismarck in der Galerie der Stadt
Breslau.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
189
/'. r. Lenbath. Gruppenbildnis
(Im Hintergrunde Lenbach)
Im Jahre 1886 verliess Lenbach Rom, die Stadt, in der
er ein gewaltiges Stück Leben in sich aufgenommen hatte, in
der innere Schicksale an seine Ruhe griffen, in der er Welt,
Himmel und Hölle der Liebe durchschritt. Was er als mit-
massgcbend für seinen Wegzug empfand, ist merkwürdig und
charakteristisch. Wilbrandt, der ihn damals besuchte, erzählt:
„er führte mich auf die Terrasse, von der man zu den Prati
di Castello neben der Engelsburg hinüberblickte, auf denen ein
schonungslos modern hässlicher neuer Stadtteil in den römischen
Himmel wuchs. , Schau', sagte er, ,jetzt is's aus. Das da kann
ich nimmer seh'n !'"
So herrschkräftig, ja, so tyrannisch war das ästhetische
Gefühl in ihm, so herrschkräftig und tyrannisch blieb es durch
sein ganzes Leben. Wenn er in seinem geliebten München,
das so gemischt und gegensätzlich in seinen Strassenbildern ist, schöne, seinem Auge wohltuende
Wege gemacht hatte und in die Nähe reizloser Kasernenbauten von vorgestern und gestern kam,
dann nahm er für die kürzeste Strecke eine Droschke, — nur das nicht sehen. Wie ein echter
Musikant durch eine Tondissonanz leidet, so litt er durch eine Bilddissonanz, er erschrak, er entfloh. —
Bald nach seiner Rückkehr aus Rom kaufte er sich auch rasch entschlossenen Geschmackes
den Bauplatz in der klassischen Lage
Münchens, an der Pforte seines Stückchens
Griechenland, da richtete er das Haus auf,
das sein Freund Gabriel Seidl ganz nach
dem Künstlertraume Lenbachs baute, eine
Heimstätte voll Gemütlichkeit und Schön-
heit, Schon der Weg durch den breiten
Vorgarten altitalienischer Art scheint an
ein anderes Ufer zu führen : Weltferne,
Harmonie. In ihrer breiten Raumgebung,
in ihrer vollendeten Ausstattung wirkt diese
Heimstätte still und vornehm ; keine Stil-
orthodoxie, die das Persönliche einengt,
drängt sich auf, Lenbach nahm alles, was
er schön an sich fand, auf, und weil er
wusste, was schön ist, stimmt es. Neben
den edelsten Originalen findet eine bunte
Muschelkette, wie sie die griechischen
F. r. Lrnhach. Zehn Künstierporträts Bcttelkinder auf der Strassc verkaufen.
190
DIE KUNST UNSERER ZEIT
ebenso ihren Platz, wie der pompöse Messingkäfig mit dem antiken, historischen, noch lebendigen
Papagei, den einst König Ludwig der Lola Montez schenkte. Jeder Raum gibt den Eindruck
harmonischer Schönheit, an der Ausstattung jeden Raumes arbeitete Lenbach wie an einem Kunst-
werke. Sein jüngstes Einrichtungskunstwerk war der grosse Saal im ersten Stock seines Wohn-
hauses, die Perle seiner Festräume. In diesen Festräumen empfing er eines Tages mit kindlicher
Freude, an der er möglichst Vielen Teil
gab, Bismarck als seinen Gast. Als er
mir die zu seiner Aufnahme bereiteten Räume
zeigte und ich nach dem fehlenden Bilder-
schmuck des Schlafzimmers frug, meinte
er: „Der alte Herr braucht keine Bilder!
Ja, wenn ich ihm die Wände mit der , Nord-
deutschen Allgemeinen' verzierte . . . ."
Auf der breiten Veranda des Neben-
hauses zeigte sich damals Bismarck der
ihn feiernden Menge. Dieses Nebenhaus ist
ein Haupthaus, denn unter seinem Dache
befindet sich Lenbachs Atelier, eine Werk-
stätte, aber eine königliche mit glänzenden
Vorräumen, deren Wände echte Tizians,
die Porträts von Franz I. und Philipp II.,
schmücken; auf den Tischen liegen farbige
Brokate, blinkende Edelsteine, Schwerter,
Tiaras; keine Kuriositäten, die nur Kuriosi-
täten wären, jede Kleinigkeit, jeder Sessel,
jede Truhe schön in sich, ein wohlgestimmtes
Instrument in diesem Konzerte der Schönheit.
F. V. Lenbach. Fische
Im eigentlichen Atelier, in dem Lenbach malte, von morgens bis abends malte, herrscht ein grosser
Ernst. Am Fenster steht ein Torso, ein echtes Stück Griechenland, hängt ein Kasten voll exotischer,
farbenblinkender Schmetterlinge, in einer Schale liegen bunte Perlen, „farbiger Abglanz", mit
dem sein schönheitsfrohes Auge gerne spielte. In einer Ecke steht ein behaglicher Divan,
daneben ein Tisch mit Büchern und Bildern. Da ist der Beichtwinkel, in welchem die seelischen
Aufnahmen stattfanden. Von da aus übersieht man den ganzen Raum. Ein weiches Seitenlicht,
das zu geschickt angebrachten Fenstern hereinfällt, umspielt das schöne Ganze: die malerischen
alten Gobelins, die malerischen Lenbach - Porträts, die heidnische und die christliche Kunst. Ein
grosses Kruzifix mit dem gekreuzigten Heiland überragt allen Wandschmuck, überragt die breite
Estrade, auf der die weltlichen Bilder von Lenbachs Hand, seine Lebens-
werke, in bunter Reihe stehen.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
191
Und die Gestalten dieser bunten Reihe, wie sie in dem Wechsel der zwei Jahrzehnte, in denen
Lenbach mit den Unterbrechungen seiner Reisen ganz in München lebte, durch dieses Atelier gingen,
im Bilde auf dieser Estrade standen, sie sind eigentlich die berufenen und auserwählten Er-
zähler der weiteren reichen Lebensgeschichte Lenbachs. Sie nahm er als Malbilder wie als
Lebensbilder in sich auf, ob sie seine Sprache sprachen
oder nicht, ihrer Wesen Sprache, er verstand sie. Er
hatte die Worte der fremden Sprachen nicht nötig.
Während er eines Tages malte, kam, wie Wilbrandt
erzählt, ein Telegramm: „Bitte, verdeutsch' mir, was
drin steht". Es war in französischer Sprache und
drückte die Freude irgend eines spanischen Diplo-
maten aus, wieder ein paar Stunden mit seinem lieben
Lenbach zu verbringen. „In welcher Sprache verlebt
ihr die", trug ihn der Übersetzer. Und „Ja, weisst",
erwiderte Lenbach voll Humor, „er kann kein Deutsch
und ich kein Französisch. Wir kennen uns halt von
Madrid". Er kannte sie alle, die er „ins Auge fasste",
ob sie sprachen oder nicht. Durch den Schleier des
Schweigens wie des Redens sah er in ihr Herz hinein,
während er ihre Züge festhielt. Ihm verwandelten
sich alle die ausserordentlichen Begegnungen und Ein-
drücke jeden Tages zu Lebensflammen, durch die er
die Menschen immer wieder anzog, durchwärmte, er-
leuchtete. Sehr selten sprach er von sich, aber sie
sprachen zu ihm, vertrauten ihm, wurden wach in
seiner Nähe, in dem Klima seiner Güte.
Was er an Bildern von seinen vielfachen Reisen
nach Italien, Paris, Wien, London, Holland, Berlin,
Varzin, Friedrichsruh mitbrachte, Skizzen, Halbvoll-
endetes, Vollendetes, alles Geschaffene stand einmal
auf der Estrade seines Ateliers, dieser Weltbühne! Nur die ungefähre Nennung der Namen all
seiner Gemälde zeigt das weite Panorama, in dem er malend-erobernd, geistig spazieren ging.
Das grosse wandernde, wechselnde Bild, das bei dieser Vorstellung vor dem Auge aufsteigt, lockt,
einen Lenbach-Festzug zu bilden, und ihn zu seiner feierlichen Ehrung vorüberziehen zu lassen.
Voran schreitet als Führende eine Kindergruppe, aus all den lieblichen Unmündigen, Un-
schuldigen, die er gemalt hat, die er geliebt hat als das Paradiesische, das Glückliche, das Glücks-
pfand der Menschheit, die ihm alle ans Herz gingen, woher sie auch kamen. „Kinder sind
vom Himmel gefallen", pflegte er zu sagen. Ihnen folgen die jungen Mütter, die er so gerne
F. V. Leiibaili. Huhn
192
DIE KUNST UNSERER ZEIT
als zärtliche weltliche Madonnen auffasste, ihr Kind an sich schliessend, ihre Weit. Mit
ihnen gehen die jungen Mädchen, die Frühlingshaften, die er wie Blumen betrachtete, jeden Farben-
reiz, jeden Schimmer hervorhebend. In ihrem Gefolge schreiten zuerst die Maler: Hofner, Piloty,
Böcklin, Schwind, Hagn, Kugler, Makart, Passini, Herterich, Hengeler, Oberländer, Seitz,
Stuck; dann die Bildhauer: Gedon, Begas, Kopf, Rümann; die Architekten: Semper, Gabriel Seidl,
Emanuel Seidl; die Musiker: Wagner, Liszt, Bülow, Joachim, Hornstein, Levy, Lachner, Johann
F. A. von Kdiilhach. (Einladungskarte zum Künstlerfest
(Auf der Quadriga Lenbach)
Strauss; die Dichter: Paul Heyse, Adolph Wilbrandt, Hermann Lingg, Björnson, Busch, Schack;
mit ihnen gehen die Künstler und Künstlerinnen der Bühne, die ernsten und die lustigen: Coquelin,
Possart, Dreher, Plank, die Düse, die Sorma, die Barbi, die Sanderson.
Diesen Gruppen, die auch aus den Herrscherkreisen der Menschheit kommen, folgt die
Gruppe der Potentaten : die drei deutschen Kaiser, die Könige Ludwig I., Ludwig IL, der Prinz-
regent, Prinz Luitpold, Prinz Rupprecht, Herzog Karl in Bayern, Prinz Leopold, der österreichische
Kaiser, der König von Sachsen, Ferdinand von Bulgarien, die Kaiserin Friedrich, die Herzogin
Klementine von Koburg, die Königin von Italien, die Königin von Neapel, die Königin Isabella
von Spanien, der Papst, und mit ihnen gehen die Helfer des Reichs, in ihrem Mittelpunkt
hervorragend Bismarck, mit ihm die Strategen, die Offiziere, Moltke allen voran, von der Tann,
die Politiker, Hohcnlohe, Bülow, Riedel, Döllinger, die Diplomaten Gladstone, Minghetti. Ihnen
DIR KUNST UNSERER ZEIT
193
schüessen sich die Helfer aller Reiche, die inter-
nationalen Herrscher an, die Wissenschaftler, wie
Pettenkofer, Helmholtz, Virchow, Siemens, Bayer,
Siebold, Mommsen; auch Nanssen dürfte zu ihnen
zählen. Nach ihnen kommen die mannigfaltigen
Typen aus der Gesellschaft, die Finanzleute, die In-
dustriellen, die Aristokraten, wie Graf Moy, Prinz
Lichtenstein, Fürst Tucher, Borghese. Mit ihnen die
Schar der Aristokratinnen, die er alle adelte, indem
er sie malte. Die mit und ohne Ahnen bilden die
grosse, interessante Gruppe derer ,,von" Lenbachs,
kraft seiner Farbe, seiner Kunst geadelt! Sie steigen
alle in eine Rangklasse auf, die sich durch ihre
künstlerische Lebensfähigkeit im Wandel der Zeiten
behaupten wird, — das Bild der alten Dame in
Trauer wird so als klassisch fortleben, wie das der
F. V. Lenhach. Frau Therese Seidl
F. r. Lenhitih. Lorenz Gctioii
alten Frau Seidl, wie das der Herzogin Max
in Bayern, wie das der Herodias, wie das
von Lolo Lenbach-Hornstein.
In diesem Lenbach-Festzuge, der die
lebendigste und farbigste Illustration zu
Lenbachs Lebensarbeit und Lebensinhalt gibt,
darf kein Bild fehlen, das der Tänzerinnen
und der Schlangenbändigerin so wenig wie
das der Schrobenhauser Bauern, auch das
der Aresinger Sonnenbuben nicht, auch die
Tiere, die er so sehr liebte und so gern
verwöhnte, der Esel aus Schrobenhausen
und sein Hund, der treue Spitz, nicht. Und
an wessen Auge dieser Lenbach- Festzug
vorüberzöge, der sähe nicht nur Lenbachs
Menschenpanorama, der sähe einen Aus-
schnitt aus dem Bilde der Menschheit im
Spiegel seiner grossen unsterblichen Kunst!
Als im Herbst 1887 Theodor Graf aus
Wien die von Beduinen in Kairo erstandenen,
mit Männer-, Frauen- und Kinderköpfen
kaustisch bemalten Holztafeln ausstellte, war
194
DIE KUNST UNSERER ZEIT
\
die Überraschung der Kulturwelt allgemein und gross. Die Fachwissenschaft bezeichnete als die
äusserste Zeitgrenze, aus der diese Malereien kommen könnten, das Jahr 3 9 5! Was auch über
die ägyptische Welt von damals mit vielem Wissen und schwärmerischer Phantasie in so und so
viel Romanen zusammengetragen worden war, alles verblasste angesichts dieser Holztafelmalerei
zu lebloser Theatralik. Aus diesen Gesichtern, die nach fast 16 Jahrhunderten wie auferstanden
erschienen, sprach ein individuelles, ver-
wandtes Leben, geistiges Wachsein, ge-
mütliche Wärme; diese Heiden sprachen zu
den Kindern der Telephonzeit, verbanden
sich mit ihnen. Sie sagten ihnen mit grossen
sprechenden Augen : wenn wir uns auch
nicht so abgelernt und abgeeilt haben wie
ihr, die Hauptsache wollten wir auch lernen,
die Kunst zu leben. Wir haben geliebt
wie ihr und darum an der Sehnsucht und
an der Vergänglichkeit gelitten wie ihr,
denn ihr seht, auch wir suchten die Züge
derer festzuhalten, die wir unter dieser
Erdensonne liebten. Die Holztafeln, die
der unerschöpfliche Romandichter Zufall in
zugewehten Höhlen im Wüstensand ver-
steckt hatte, sie geben uns Bände unver-
fälschter Geschichte.
Wenn durch elementare Ereignisse alle
kulturgeschichtlichen Berichte unserer Zeit
verschwänden und nur eine Gruppe Len-
bachscher Porträts übrig bliebe, sie würde
gleich den ägyptischen Holztafeln ihre Geschichte erzählen. Sie würde aus der Gesellschaft unserer
Zeit die „documents humains" in schöner, lebendiger, interessanter Sprache weitertragen, schöner,
lebendiger, interessanter, als alle theatralisch verbrämten, historischen Romane. Sie würde der Nach-
welt eindringlich zeigen, in wie vielerlei Spielarten das Geistesleben der Menschen zum Ausdruck kam,
wie damals der Krieg der Schlachten, der Staatskunst, der Politik, des Verstandes, des Gefühls, des
Lebens an sich, des Kampfes ums Dasein und ums Wersein Wesen, Charakter und Züge bildete. Von
dem äusseren Beruf der Gemalten durch keinen Kommentar unterrichtet, würden sie unmittelbar durch
die Kunst Lenbachs lesen, wer geschaffen, geraubt, geherrscht, gedacht, geforscht, geheuchelt, geholfen,
genossen, gesungen, gelacht, gelitten, gefühlt hatte, welche guten oder bösen Geister in ihm wirkten.
Und die Gestalt des Künstlers selbst, was würde sie ihnen sagen? Der souveräne Mann
mit dem zielenden Blick, wie er auf seinen Selbstporträts aus seinen gesunden, frohen Tagen
F. V. Ijenhach. Adolf Oberländer
Franz von l.ciibach pinx.
Hhot. K. HanlütainKl, München
Josefine Lenbach
Kranz von Lcnbach pinx.
Phot. F. HanlslacnKl, München
DerTitusbogen in Ro
m
DIE KUNST UNSERER ZEIT
195
aussieht, würden sie ihn als den Zufriedensten, den Harmonischen erkennen, der sich am eigenen
Feuer wärmt, nach innen lebt? Sie würden die glänzende, ordensreiche Reihe seiner sieghaften
F. 0. Lenbach. König Ludwig I. von Bayern
Erfolge in zahlreichen Ausstellungen, im Verkehr nie voraussetzen. So oft ihn auch Missverständnis
und Missgunst falsch beurteilte: es ist so, er lebte nach innen. Trat er nach aussen, so tat er
es aufrecht und aufrichtig, meist für die gute Sache der Allgemeinheit. Tat er es seltene Male
XVI 29
196
DIE KUNST UNSERER ZEIT
für sich, so scheute er es nicht, sich in seiner wahrhaftigen Erkenntnis auch selbst zu vertreten,
wie auf der jüngsten Pariser Weltausstellung, wo er sich als den „rechten" Vordermann in der
deutschen Vertretung einschätzte und von den Kennern recht bekam. Die Unverständigen sagen :
er hat Ellenbogen, die Verstän-
digen: er hat „die" Kraft! Und
sein nächster Freund sagt: „Ellen-
bogen, nein, Adlerschwingen hat
er gehabt!"
Und wenn die Nachgeborenen
spätester Zeiten sein letztes Selbst-
porträt sähen, das er nach seiner
tragischen Erkrankung, die den
Arm lähmte, gemalt hat, sie
würden ahnen, da ist Adlerstarkes
verwundet, ein Martyrium ist über
diesen Mann gegangen, sie würden
fragen, wissen wollen, was ihn so
leiden machte. Die Schauer der
Vergänglichkeit hatten seine
Seelenfreudigkeit, seinen Seelen-
frieden zerstört ! Aber vor seinem
Krankheitsunglück war er das
Bild souveräner Zufriedenheit, die
die wahre Freiheit ist!
Sein witziges, gütiges Kind
Gabriele, das er, der Vogel-
freund, so gerne den kleinen
Raubvogel nannte, das ihm in
der Schmerzenszeit seiner Krank-
heit engelhafte Liebe zeigte,
meinte, man hätte denken können,
er schaue bös, wenn man nur seine Augen sah. Wenn man aber dann seinen Mund betrachtete,
dann hätte man gesehen, wie gut er lache. Ja, er lachte gut, wie er gut handelte, auch aus
seiner Kunst spricht diese unbegrenzte wohlwollende Güte, die gern alles mit dem Festglanz der
Schönheit, des Frohsinns vergoldete, die predigte, jeden Tag zum Festtag zu machen. Niemand
wisse, wie viel Festtage er geben und geniessen könne. Er hat Festtage gegeben und genossen,
und es war wohl die verwandtschaftliche Denkungsart, durch die er das Wort von Rubens fest-
hielt und gerne anführte: „Es kommt nicht darauf an, wie lang ein Stück gespielt hat, sondern
,„'iili<i<li. Uübcrt von I loriistciii
DIE KUNST UNSERER ZEIT
197
wie gut es gewesen ist." Er, der, wie Sir Dudley Carleton den Rubens nannte, „ein Fürst
der Maler und der Gentlemen war', er wusste, „sein Stück" war gut, voll Lebensfülle,
voll Arbeitsfreude. Er sagte einmal: „ein Künstler darf gar nicht merken, wie er alt wird, und
wenn der Tod kommt, muss er aufschauen und sagen: ,Jesses, schon? Jetzt hätt' ich grad recht
angefangen'". Sein Stück war viel
zu frühe aus. Es war ein Golgatha-
tag, als er den gespenstischen
Überfall der Krankheit erfuhr. Mit
dem heroischen Mut, der sanft
und still ist, mit den tragischen
Vorstellungen leise umgeht, er-
trug er ihre Schrecken und ihre
Schmerzen, in denen er auch an
die Allgemeinheit dachte. Oft frug
er den Arzt, der ihn pflegte, ob
viele dasselbe hätten. In der All-
gemeinheit suchte er wohl auch
den Trost, den der trostbedürftige
Mensch dem Gesetz abringt,
während er ihm entfliehen möchte.
In der Stille des Krankenzimmers,
von der hingehendsten Liebe um-
geben, rettete er sich in andere
Welten. Mit gespanntem Interesse
Hess er sich mit Vorliebe Memoiren
vorlesen und urteilte treffend und
interessant, wie in gesunden Tagen.
Mit wehmütiger Freude hörte
er von allen Kundgebungen der
Teilnahme, der Hochschätzung,
der Bewunderung. Von all den Vielen, die zu ihm drängten, wollte er nur sehr Wenige und
diese selten sehen. Es war, als ob er sich, wie ein Verwundeter, in den Heimatschutz der Liebe
verbergen wolle, als ob er sich vor den Bildern der Welt, der er in gesunden Tagen hin-
gebend angehörte, als ob er sich vor dem grossen, schmerzlichen Heimweh nach seiner Kraft fürchte.
Die Hoffnung auf Genesung erstarkte. Eine Reise nach dem Süden steigerte, befestigte sie,
Malpläne und Baupläne wurden gepflegt. Den Sommer der Rekonvaleszenz verbrachte er,
hoffnungsfroh, mit seiner Familie in Starnberg. Entzückt von der Weite des Blickes, von der
stillen Schönheit des Hügels, auf dem die von ihm gemietete Villa stand, kaufte er nahe dabei
F. r. Lenbach. Baronin von Hornstein
198
DIE KUNST UNSERER ZEIT
einen herrlichen Baugrund, auf dem jetzt sein fürstliches Landhaus steht. Er freute sich an dem
Ausdenken seiner Einrichtung, an dem Skizzieren des Gartens, der einem Rubens gefallen sollte,
er freute sich an jedem guten Tag, er malte! Nach München zurückgekehrt — es war im
Herbste 1903 — drohten neue Übel. Was in seinem wachen Geist, in seinem lebensfreudigen,
liebevollen Herzen vorgegangen sein mag, als er neue Gefahren auf sich loskommen, als er
sich vor die Frage einer Operation gestellt sah, das ist nur mit dem tiefsten Mitleid auszudenken.
Er klagte nicht. Leise Schmerzensrufe, wie die Unterschrift eines Briefes an Prinz Rupprecht,
Lenbach a. D., klangen fast lächelnd, ein wehes, wundes Lächeln. Vor Weh und Wunden flüchtete
er sich zu den Harmonien seines Lebens, zur Kunst, zur Liebe. Das Harmonium liess er sich
in die Nähe seines Krankenlagers stellen, und noch in seinen letzten Lebenstagen bat er seine
Frau, ihm alte getragene italienische Weisen vorzusingen. Noch an den Eingang seines könig-
lichen Saales liess er sich fahren, all die Schönheit suchend, zärtlich grüssend, was ihm so lieb,
so wohltuend war, was ihm den farbigen Vorhang vor dem Abgrund bedeutete und seine Seelen-
ruhe so köstlich geschützt hatte.
>>
ir
Franz von Lenbach tot! — — —
Es war, als ob Unmögliches geschehen wäre, als ob eine grosse, leuchtende, wärmende
Flamme erlösche, als ob es noch kälter, dunkler würde in dieser kalten, dunklen Welt.
Die, denen der Mensch gehörte, werden ihn trotz aller Auferstehungskraft seiner Kunst
nie entbehren lernen. Dazu waren die Gegenwartsgaben seiner Persönlichkeit zu gross. Der
Dichter, der seiner Frau seine Teilnahme in den Worten ausdrückte: ,, Einst die reichste, jetzt
die ärmste Frau", er hat recht. Für die, die ihn liebten und von ihm geliebt wurden, ist ein
ganzes südliches Land, ein gelobtes Land, in dem immer Sonne und Erntefreude war, unter-
gegangen.
Grosse Tröstungen hat er ihnen hinterlassen in dem, worin er den Gegenwärtigen und
den Kommenden ledendig bleibt, in dem, was kraft seiner Persönlichkeit so gross-mächtig wurde
und wirkt: in seiner Kunst.
Franz von Len-
bach ist eingereiht zu
den Grossen, die zu
verstehen er als eine
,, Gnade" bezeichnete,
die man die Alten nennt
und die doch die Jun-
gen bleiben, von deren
Werken ein unvergäng-
liches Leben ausstrahlt,
die nicht sterben.
Er lebt!
Villa Lenbach in Starnberg
Otto Strutzel. Benediktenwand
ÜBER DIE
IX. Internationale Kunstausstellung 1905
IN MÜNCHEN
VON
FRANZ LEHR
Die heurige Kunstausstellung im Glaspalast nennt sich eine internationale; ihre Bedeutung
jedoch liegt nicht in dem Begriff „international", denn die ausländische Kunst tut sich nur
wenig hervor. Das Ausland tritt zwar numerisch in derselben Stärke wie früher auf, aber es
beschickt unsere Ausstellung nicht mehr mit so guten Werken wie früher. Seit der glänzenden
Vertretung auf den Ausstellungen von 1888 bis 1890 und 1895 ist es stetig zurückgegangen.
Auf die Hochflut von damals ist längst die Ebbe gefolgt. Dagegen kann man seit jener Zeit eine
mehr und mehr ansteigende Bedeutung und Wertschätzung unserer heimischen Kunst wahrnehmen.
Dies verursacht eine viel grössere Nachfrage nach inländischen Kunstwerken ; das Ausland
XVI 30
200
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Liu, Putz. Halbakt
hat daher kein so grosses Interesse mehr,
unsere Ausstellungen gut zu beschicken.
Die Zeit der grossen Überraschungen ist
vorüber, vorüber auch die grossen Evo-
lutionen in der modernen Kunst, die ihre
Fluten von Westen her über Europa wälzten
und überall anregend und befruchtend
wirkten. Sie haben sich verlaufen und in
ein Netz von Kanälen verteilt, an denen
kluge Köpfe ihre Mühlen betreiben. Wer
sich heute in der Kunst orientieren will,
welche Richtung und welche Werte gerade
in der Zeit liegen, der schaut nicht mehr
bloss nach Paris. Paris ist nicht mehr
die Zentrale der europäischen Kunst.
Wir sind innerlich längst über den
Impressionismus, die letzte grosse
Parole, die dort ausgegeben wurde,
hinausgewachsen. Die Zeit der Ab-
rechnung ist gekommen. Wir sind daran zu zählen, abzuwägen und abzuschneiden. Wir müssen
einmal Bilanz ziehen, und bei dieser grossen Abrechnung wird es heissen, Impressionismus oder
Expressionismus? Was ist gut deutsch? Das Resultat
ist vorauszusehen : Wir dürfen nur auf unsere Tradition
zurückblicken und bedenken, warum Dürer, Holbein.
Matthias Grünewald vor allem und die Holländer,
Rembrandt voran, wieder so auffallend modern ge-
worden sind. Erinnern wir uns zugleich daran, wie in
unserer engeren Heimat, hier in München, Richtungen
und Meister wiederum Geltung erlangen, an die man
vor zwanzig Jahren gar nicht mehr gedacht hat.
Unsere Toten Heinrich Bürkel, Karl Spitzweg, Moritz
von Schwind sind wieder lebendig geworden und be-
ginnen erst recht wieder zu wirken. Das Ausstellungs-
gebäude der Sezession am Königsplatze hat noch nie
einen solchen Andrang von Menschen erlebt als in
jenen Tagen, da dort der versammelte Schatz der gold-
werten Schwindschen Kunst wiederum offenbar ward.
Simon Giackiivh Dame in Weiss Da war CS köstlich ZU Sehen, wie sich alles an die
DIE KUNST UNSERER ZEIT
201
Wände drängte, um die mit Lieb und Fleiss ausgeführten Zeichnungen und Stiche des Meisters zu
sehen, während man sonst bei den obligaten Frühjahrsaussteilungen per Distanz vor den Bildern
steht, um einen allgemeinen „farbigen Eindruck" zu
erhaschen.
Möchte doch dieser eine Erfolg es den Aus-
stellungsleitern nahegelegt haben, was Richard Wagner
in den Meistersingern so trefflich in dem Sprüchlein
ausdrückt:
Ehrt eure deutschen Meister,
Dann bannt ihr gute Geister!
Seitdem ist auch schon manche Kollektiv- und
Sonderausstellung, wie die von Lenbachs und Def-
reggers Werken nachgefolgt. Wir haben schon ein-
mal dringlich die Anregung gegeben, den grossen
Schatz heimischer Kunst an Stelle der flauen inter-
nationalen Produktion vorzuführen: eine gross-
angelegte Retrospektive neben einer die
moderne Produktion möglichst glänzend
vertretenden Ausstellung. Um wie vieles
besser wäre der Gesamteindruck der heurigen Aus-
stellung, wenn dieses Programm durchgeführt worden
wäre.
Der geneigte Leser ist eingeladen, mit uns
einmal einen kurzen kritischen Gang durch das Aus-
stellungsfeld zu unternehmen. Begeben wir uns
zuerst vom Vestibül aus zu den auf der linken
Seite gelegenen Sälen, die die internationale Kunst
beherbergen. Gleich im ersten Räume bei den
Schweizern macht sich ein farbiges buntes Leben
bemerkbar. Gemälde hängen an den Wänden, die
wie grosse kolorierte Bilderbögen aussehen — Bilder-
bogen — die Volkstrachten darstellen, ein Kapitel aus
der Schweizer Geschichte erzählen und Land und Leute bei ihrer täglichen Arbeit, bei ihren
häuslichen Freuden und Leiden, ihren Erholungen und Festen schildern. Alle Seiten in diesem
grossen Bilderbuche sind aufgeschlagen und Land und Leute der Schweiz in grellen auf-
dringlichen Farben recht deutlich geschildert. Diese Ausstellung will besagen: aufgepasst, wir
Schweizer sind da! Uns will scheinen, die Schweizer wären gar nicht so uneben, wenn sie nur
nicht so gross täten und etwas bescheidener auftreten würden, etwa so wie ihr Landsmann Welti
Karl Zietjler. Bildnis der Frau Stutz
202
DIE KUNST UNSERER ZEIT
bei uns, der in einer recht unauffälligen
Weise, eben in der Art des Bilderbogens
sagt, was es in der Weit alles Schönes gibt.
Vor Jahren war auch schon einmal ein
Schweizer bei uns zu Gaste, der sich uns
als ein feiner Künstler vorstellte. Es war
Hans Sandreuter. Heute lernen wir Hodler
kennen. Für beide Künstler wurde von vielen
Seiten gekämpft und gestritten. Hodler oder
Sandreuter, Sandreuter oder Hodler? Wie
auch das Feldgeschrei bei den Schweizern
lautet, ist uns gleich. Wir glauben, es
müsste jeder sehen, wohin der Weg auf
beiden Seiten führt. Treten wir aus der
Schweizer Abteilung in die italienische ein,
da wird uns ein Eindruck, wie wenn wir
eben eine Bergwiese mit sattgrünen Kräutern
und Gräsern und vielen bunten Blumen da-
zwischen mit einem Treibhaus mit schwüler
dumpfer Luft und einer matten, ersterbenden
Vegetation vertauschten. Viele Bilder hängen wie verblühte welke Blumen an den Wänden. Und
erst Spanien! Wo ist der farbenfreudige Abglanz südlichen Lebens, wo der Farbenreiz und
Zauber aus den blühenden Gärten von Granada, der unser Auge einst entzückte; wo sind alle
diese herrlichen Bilder eines Benlliure, Echena, Viniegra, Gallegos und wie sie alle heissen? Der
heitere Farbenrausch ist verflogen, eine ziemliche Ernüchterung ist darauf gefolgt. Was wir
schon vor Jahren aussprachen, „zum Teufel ist der Spiritus, das Phlegma ist geblieben-, muss
heute noch mit grösserem Nachdruck wiederholt werden. Der neue Stern, der am spanischen
Kunsthimmel leuchtend aufgegangen ist — Zuolaga — ist bei uns nicht sichtbar. Leider, er
hätte seine Landsleute hieher geleiten sollen,
um ihr Prestige zu retten.
Besuchen wir nach den Spaniern und
Italienern die Franzosen, so erwartet uns
auch hier eine ziemliche Enttäuschung.
Man weiss, was man mit dem Worte Laden-
hüter für eine Ware bezeichnet. Ähnlich
verhält es sich bei vielen dieser Bilder.
Man gewinnt den Eindruck, als dächten
die Franzosen, die schon einmal getragenen
Wall her Thor. Damenbildnis
Offn SindfHff. Loloten
Walter Thor pinx.
Pliot. f. HaiiltsUcnKl, München
Prinzregent Luitpold von Bayern
DJ
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CS
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Dlt KUNST UNSERER ZEIT
203
Friedrich Kallmorgeii . Sonnenglanz (Hamburger Hafen)
und nunmehr abgelegten Kleider seien für eine derartige Repräsentation noch gut genug. Erst
nachträglich, nachdem dieser Bericht schon geschrieben war, haben sie sich noch mit einer Kollektion
guter Bilder eingestellt. Hoffentlich ziehen wir aus diesem Fall die rechte Nutzanwendung. Um
eine kleine englische Kollektion vorführen zu können, mussten eigene Delegierte über den Kanal.
Entspricht nun das Resultat unserer Bemühungen den gehegten Erwartungen? Keinesfalls können
uns die hier vertretenen Bilder einen Begriff von englischer Kunst geben. Auch hier müssen wir
wieder das alte Lied anstimmen: das Beste ist nicht feil und das Mittelmässige schafft nur Lange-
weil. Schweden, Dänemark und Norwegen haben doch einige gute Landschafter geschickt, und
Holland ist wie immer dank seiner auf solider Basis handwerklicher und künstlerischer Tradition
ruhenden Produktion vorzüglich vertreten. Bei der Betrachtung einiger Gruppen österreichischer,
böhmischer und polnischer Künstler müssen wir noch eine andere Seite des Ausstellungswesens
berühren, die Frage der räumlichen dekorativen Ausstattung. Man hat heuer eine eigene Aus-
schmückungskommission eingesetzt und hat neuerdings versucht, das alte gläserne Gehäuse des
Glaspalastes, Kristallpalast heisst es auf einigen offiziellen Plakaten, durch verschiedene Einbauten
und Zwischenwände zu verschönen. Es sind dadurch manche gefällige Räume geschaffen worden,
204
DIE KUNST UNSERER ZEIT
aber im grossen Ganzen bleibt es doch beim Alten. Volle Anerkennung verdient die Reinigung
des Daches, wodurch endlich wieder einmal Licht in die Ausstellung gekommen ist. Es ist um
vieles heller und freundlicher geworden und man hat auch diesen Charakter in der deutschen
Copyright I9<5 Ity Fmnz llAnfntjirni:)
Wilhehii Meiizler. Aus sonnigen Jugendtagen
Abteilung mit Geschmack und Geschick in der ganzen äusseren Ausstattung festgehalten. Zu
einigen merkwürdigen Versuchen von Ausstattungen kam es bei den Wienern, Böhmen und Polen.
Die Wiener Künstiergenossenschaft hat ihre Aufgabe, eine vornehme freundliche Umgebung
für ihre Bilder zu schaffen, geschmackvoll durchgeführt, dagegen sind die Einbauten, mit
ihren verschiedenen Kabinetten, in denen Wiener Sezession und böhmische Künstler ausgestellt
haben, von keinem gerade künstlerischen Geiste eingegeben. Man denkt dabei an ähnliche Vor-
führungen von Tapezierern und Möbelfabrikanten auf Gewerbe- und Weltausstellungen. Einen
DIE KUNST UNSERER ZEIT
205
sehr ungleichen Eindruck hinterlässt das Kabinett der polnischen Künstler. Der Charakter
einer Gemälde- oder vielmehr der einer Kunstausstellung sollte doch im einzelnen wie im
ganzen gewahrt bleiben. Wären natürlich von Anfang an günstige und möglichst gleich-
wertige Ausstellungsräume vorhanden, so kämen solche Ausschreitungen nicht vor. Unter den
jetzigen Verhältnissen wird sich das Bestreben, durch möglichst effektvolle Mittel die Aufmerksam-
Fratiz riin Dofiegtjer. Gefährlicher Besuch
keit des Publikums auf sich zu ziehen, nicht hintanhalten lassen. Wir meinen aber, wo Gutes
in künstlerischer Hinsicht geboten wird, braucht es keiner Kniffe und Effekte wie auf Jahr-
märkten. Dieses Prinzip führt schliesslich dazu, dass die Bilder der Dekoration wegen da sind
und das Auge des Beschauers von ihnen weg auf die Dekoration geleitet wird. Das wäre
aber doch so ziemlich das Gegenteil von dem, was die Ausstellung eigentlich bezweckt. Sie will
doch in erster Linie eine Übersicht über das geben, was in der Malerei zurzeit geschaffen wird :
das rein künstlerische Moment soll darin hervortreten. Der Geniessende soll in diesen Räumen
die Kunst der Gegenwart versammelt finden, die Kunst, die sich in ihren mannigfaltigsten Aus-
drucksformen dem Beschauer darbietet. Im Hause der Kunst gibt es viele Wohnungen mit
verschiedenen Parteien ; sie sollen im friedlichen Wettstreit ihre Kräfte miteinander messen und
neben einander wohnen. Jeder soll in seinen Schöpfungen die Welt ausdrücken, die er sich vor-
206
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Karl Thoma-Höfele. Stilleben
stellt, die Welt, in der er lebt, liebt und leidet. Man kann nichts anderes in der Kunst wollen,
als was man natürlicherweise denkt, fühlt und empfindet. Das alte Wort „l'art pour l'art" hat nur
bedingte Geltung. Jede künstlerische Inkonsequenz rächt sich. Man soll bei der Stange bleiben,
mögen Richtungen und Strömungen in der Kunst treiben, wohin sie wollen. Wir können uns an
der Isar nicht darum kümmern, was gerade an der Seine Mode ist. Es war wichtig für uns, dass
wir bei den Franzosen malen lernten, als wir es noch nicht konnten ; mehr können sie uns nicht
geben. Wir müssen uns auf uns selbst besinnen und aus unserem Eigenen schöpfen. Die
sogenannten Genremaler haben gar keine so üble malerische Bildung. Sie haben es schon lange
gewusst, worauf es ankommt und haben sich an gewisse unverrückbare Werte und Ausdrucks-
formen gehalten. Sie sind die Bewahrer und Hüter der guten Tradition. Was für eine gediegene
Sache ist z. B. die malerische Behandlung des Raumproblems, wie wir es von den alten Holländern
übernommen haben. Als die deutsche Kunst in den 60er und 70er Jahren wieder einmal in die
Lehre ging, hat sie damit angefangen, die farbige Stimmung im Räume, Licht und Schatten-
wirkung, die farbige Erscheinung der körperlichen Gegenstände, die Menschen und ihre vielfachen
Beziehungen zu dieser Umgebung zum Augsangspunkt ihrer Darstellung zu machen. Leibl,
Defregger und Grützner haben sich dieser Probleme wieder bemächtigt; insbesondere Defregger,
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
207
indem er sein malerisches Auge jenen so reiz-
vollen Interieurs tirolischer Bauernstuben,
Küchen und Scheunen zuwandte. Die von
Balken durchzogene Holzdecke gibt ein ge-
eignetes Mittel an die Hand, durch perspek-
tivische Linien das Auge in die Tiefe zu
führen ; der Ofen, der Tisch, die Bank, alles
dient dazu, uns die ganze Ausdehnung des
Raumes recht deutlich sichtbar zu machen.
Das Licht, das durch ein Fenster oder durch
eine geöffnete Türe eindringt und auf der
glatten Diele des Bodens das Fensterkreuz
in schwarzen deutlichen Strichen abzeichnet
und an den Gegenständen im Räume an-
prallt und dadurch wiederum starke Kon-
traste von Licht und Schatten hervorruft, er-
zeugt auch wieder neue farbige Eindrücke.
Es ruft Farben hervor, weckt die verschieden-
artigsten Töne, indem es die Dinge be-
leuchtet. Welche Fülle malerischer Erschei-
nungen entfaltet sich im Räume?
Die Erscheinung des Räumlichen ganz in eine einheitliche Farbstimmung getaucht, stellt
Adolf Heller in einem hübschen Interieur dar. Man sieht in ein Zimmer, auf einen gedeckten
Tisch und von da aus durch eine geöffnete Türe in
ein zweites dunkleres Gemach. Ein ähnliches Problem
behandelt auch Walter Püttner in der Stube einer
Näherin mit aufgestellten Kleiderstöcken. Diese selbst
sind nur da, um ein Bouquet von zartgestimmten
duftigen Farben, einen reizvollen Kontrast zu der
übrigen Umgebung abzugeben. Von einem ziemlich
hell erleuchteten Zimmer sieht man wieder in ein
weiteres ziemlich dämmeriges Gelass. Es ist klar,
warum die Maler so gerne bei der Darstellung von
Interieurs verweilen. Solche Ansichten geben Ge-
legenheit zu räumlichen Darstellungen und gewähren
dem Maler Spielraum zur Entfaltung aller möglichen
farbigen Reize. So hat z. B. Max Gaisser ein
kleines Interieurstück gemalt , in dem der Haupt-
XVI 31
Alexander Fiikn. Bildnis
Eiiieiil; Steiihfiji. Mädchen aus Daleicuriien
208 DIE KUNST UNSERER ZEIT
reiz auf einem Stilleben von Kostümen, Hüten, Waffen liegt, die auf einem Tiscfie ausgebreitet
sind und die durch das seitlich einfallende Licht beleuchtet werden. Eine weitere wertvolle
Anregung wird dem Maler, dass er mit dem Räume zugleich auch die Bewohner darstellt.
Das Interieur ist vielfach nur Mittel zum Zweck. In einem Bilde von Oskar Höcker wird uns
ein Einblick in eine helle freundliche Stube mit einer Einrichtung aus unserer Vorväterzeit. Am
Ofen sitzt ein biederer Alter. Durch die Fenster scheint die Sonne und legt helle blanke Licht-
tafeln auf den Fussboden. Eine ganz andere Zeit und andere Menschen schildert uns in einem
überaus prächtig ausgestatteten Interieur Claus Meyer. Das Licht fällt durch ein seitlich
angebrachtes Fenster, von oben herab und hüllt den ganzen Raum in ein angenehmes wohliges
Dämmerlicht. Es spielt auf dem prächtigen Ornament der Tapeten von schwerem Goldbrokat,
huscht über den schöngemusterten Teppich auf dem Tisch und glänzt und schimmert auf allerlei
Dingen, die da ausgebreitet liegen. Am liebsten aber verweilt es auf dem hübschen rosigen
Gesicht eines jungen Mädchens, es umschmeichelt den schönen Hals und die blossen Schultern,
glitzert und gleisst in den Falten des seidenen Rockes und verbreitet so viel Zauber und Reize
um die anmutige Gestalt, dass es einem ordentlich Freude macht, darauf hinzusehen. Neben
dem Mädchen, mit dem Rücken gegen den Beschauer gekehrt, steht ein junger Mann mit
breitrandigem schwarzen Hut auf dem Kopfe, ganz in Schatten getaucht — ein kräftiger, aber
doch weicher Kontrast zu der lichten Erscheinung des Mädchens. Das Licht schwebt und webt um
die beiden, schafft so trauliche heimfreudige Stimmung, wie sie nur so junge glückliche Menschen
erfüllen kann.
Weniger behaglich mutet uns Echtlers Bild „Agonie" an. Hier sind lauter starke
Kontraste von hell und dunkel, farbenfreudiges Leben und erstorbener matter Schimmer, fahles
Scheinen des Lichtes und schwermütiges melancholisches Vibrieren einer schwarzschattenden
Dämmerung, ganz die Stimmung, wie sie das Lager von Sterbenden umschwebt. Die Farbe
bildet gleichsam die Melodie zu diesem traurigen Thema zu dem alten Lied von Leben und
Tod. Wiederum helle Daseinsfreude strahlt uns aus dem Bilde von Hermann Knopf „Beider
Arbeit" entgegen. An sonnenbeschienenem Fenster, am Plättisch schaltet ein junger Blondkopf
mit frisch gestärktem weissen Häubchen rührig mit dem heissen Eisen. Die jungen rundlichen
Arme sind an Hausarbeit schon gewöhnt. Es ist alles sauber und nett in der ganzen Umgebung,
so reinlich und ordentlich, wie es nur immer in einem Haushalt sein kann. Dass das malerische
Element, das eingehende Studium der Licht- und Tonwerte einer Erscheinung im Räume nicht
verloren geht, dafür sorgen schon die geschickten Meister des Pinsels und der Palette. „Mädchen
im grünen Interieur" heisstKarl Bios ganz sachlich und bescheiden ein entzückend stimmungs-
volles Bild. Diese lichterfüllte grüne Dämmerung löst in uns die Stimmung aus, in der wir uns
am liebsten unseren Erinnerungen und Träumen überlassen. In dieser grünen Dämmerung ist
ein der Musik verwandtes Element. — Es ist ein hoher Gcnuss für das Auge, mit einem Zuge,
diese weiche und gesättigte Tiefe und Fülle der grünen und tieflila Töne aufsaugen zu können,
um CS wieder in mannigfachen Empfindungen ausströmen zu lassen.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
209
Aluix Iluiis Scliruiii. Am Landungsstejf
Stimmungsmalerei auf der gefestigten
Grundlage eines soliden Könnens ist auch
Robert Weises „Blaue Stunde". Der
Zauber der blauen Stunde, wie er zu Be-
ginn der Nacht die Erde umfangen hält,
hat auch die junge Frau an das offene
Fenster gebannt. Vor ihr erglänzt der
Spiegel des Sees wie eine ebene Platte
von Lapis lazuli. Die Lüfte weiten sich,
der ganze Raum ist erfüllt von der Magie
und dem Reize einer herrlichen blauen
Farbe; eine Farbe, die die Sehnsucht weckt
und alte längst entschwundene Träume.
Fritz E r 1 e r hat auch so eine schöne junge
Frau gemalt, die am Fenster steht, draussen
sieht man einen gewitterschweren Himmel,
in den einige Vögel ihre schnellen Flügel
tauchen, gleich Rudern von Seglern in
einer dunklen Flut. Rein malerische Interessen veranlassen Gotthard Kühl, gewisse Räume
aufzusuchen. So ein altes Brauhaus ist ein echter Malerwinkel, in dessen dumpfer, feuchter
Atmosphäre merkwürdige Farben in allen möglichen Nuancen zu finden sind. Für Kühl aber
mögen besonders zweierlei Gelb,
ein helles leuchtendes und ein
dumpfes gebrochenes Gelb, das
Anziehendste in der ganzen
Farbenharmonie gewesen sein.
Diese zwei gelben Töne bilden
sozusagen das Grundmotiv für
die malerische Harmonie des
Bildes und die übrigen Farben-
töne die Begleitung dazu. Gegen-
wärtig spielt sich alles darauf
hinaus: dieses Bild ist eine
malerische Variante in gelb, ein
anderes in grau, grün, ein drittes
in rot usw. Bei dieser Dar-
stellungsweise ist es natürlich
Kall Kästner. Vorfrühling am Altrhein (Motiv aus Rheinhessen) gleich, was dargestellt wird.
210
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Verlangt man aber nicht bloss
Augenweide, sondern auch Augen-
freude, so muss man in der Aus-
wahl des Motivs schon etwas
wählerischer sein. Geffken ge-
nügt dieser Forderung. In seiner
„Visite" führt er uns ein Paar
Damen, eine jüngere und eine
ältere, in der Umgebung eines
behaglich eingerichteten vor-
nehmen Hauses vor. Die Technik
ist ganz eigen, sogenannte ÖI-
vvischmanier. Ein brillanter Öl-
maler ist ferner Borchardt, der
bei seinen kleinen, kaum einen
Quadratfuss grossen Bildchen den
Pinsel mit einer Energie zu führen
weiss, dass uns die Totalität einer
farbigen Erscheinung in der
ganzen Frische und Unmittelbar-
keit entgegentritt. Doch geht er
darin nicht zu weit. Denn nichts
widerstrebt mehr der Kleinmalerei
als eine skizzenhafte Technik. Das
Kabinettbild soll für eine nahe
liebevolle Betrachtung geschaffen
sein, es soll wie in einem Spiegel alles klar und deutlich zeigen, ohne dass sich dabei das
Detail zu sehr breit macht. Borchardt weiss das auch. In einem zweiten Bildchen „Zu Hause"
ist der malerische Gesamteindruck noch besser zusammengehalten, das Ganze noch toniger
gestimmt. Die Schwierigkeit, vielerlei Dinge zu einer einheitlichen Wirkung zu bringen, wächst
mit der Fülle und der Reichhaltigkeit des Motivs. Seiler gibt in seinen Bildern „Sieges-
nachricht" und „Marketenderin" treffliche Schilderungen aus dem Leben des 18. Jahrhunderts.
Trotz aller Mannigfaltigkeit an Interessanten Einzelerscheinungen ist das Ganze doch bildmässig
zusammengestellt. Ein feiner, grünlich grauer Gesamtton liegt über dem Ganzen, aus dem nur
einzelne, warme gesättigte oder kühle graue Farben eine bestimmte Note und eine entschieden
koloristische Haltung hervorbringen. Die Zeit des Rokoko eignet sich natürlich ganz hervorragend
für derartige malerische Vorwürfe. Menzel hat das wohl erkannt, als er sich in dieser Welt
umsah. Nicht umsonst ist er immer wieder nach Süddeutschland gezogen. Unsere schönen
M. ücItiMt. Waschtag
DIE KUNST UNSERER ZEIT
211
Rokoko- und Barockkirchen mit ihrem unsagbaren Zauber und ihren malerischen Reizen zogen
ihn an. Hier ist noch eine Domäne des farbenfreudigsten prächtigsten Lebens zu finden. Eine
wahre Farbenschachtel tut sich auf und es schimmert, leuchtet silbern, golden, scharlachrot, lichtgelb,
zartrosa, grau, kurz alle Töne einer reich besetzten Palette sind vorhanden. Was bergen unsere
Schlösser, Bayreuth, Ansbach u.a. noch für farbige Wunder. Löwith, ein genauer Kenner dieser
Zeit, führt uns in seinen Interieurstudien in eine alte Bibliothek. Ein wahres Kabinettstück der
Kleinmalerei, eine Schilderung des geselligen Lebens aus dem 18. Jahrhundert, führt uns Löwith
in feinpointierten charakteristischen Zügen in dem Bildchen „Neuigkeiten" vor Augen. Rücken
wir mit der Zeit etwas vor ins Empire hinüber und versetzen wir uns wiederum in die Welt
eines feinen Hauses, wo bereits an Stelle der geschweiften Möbel mit den krummen Füssen, Tische
und Stühle mit steifen geraden Beinen, Verzierung und Schnitzwerk ä la grecque gehalten, stehen.
Welch ein anmutiges Geschlecht, was für feine interessante Damen und was für schöne ritterliche
Männer beleben diese Räume! In allem ist noch etwas von der Lebenskunst und der Grazie
des Rokoko zu verspüren und Meister S i m m weiss dieses Leben mit geschickter Hand malerisch
Pliilipp Klein. Vor der Abreise
212
DIE KUNST UNSERER ZEIT
reizvoll zu schildern. Menzler freut sich in seinem Bilde „Aus sonnigen Jugendtagen" an der
Wärme eines schönen Herbsttages mit den zwei jungen Leuten, denen noch kein Sommer und
Herbst erblüht ist.
Verlassen wir dieses lockende, werbende Leben da draussen in der Welt und treten in die
stillen geweihten Räume eines Klosters ein. Ein freundlicher Schimmer, ein verlorener Sonnen-
strahl führt uns in das Gemach, in dem zwei Brüder der Frau Musika huldigen. Violine und
Cello ertönen, ein Duett ist im Gange. Ganz für sich in hingebender Gottesminne huldigt eine
Nonne der seligen Jungfrau. Vor dem Altar lässt sie ihre Geige ertönen, eine andächtige innige
Weise durchdringt den Raum. „Maiandacht" nennt Hermann Kaulbach dieses schöne Bild.
Adolf Eberle und Matthias Schmid bringen aus ihrem alten, ihnen vertrauten Gebiet,
aus dem Leben der Gebirgsbauern, allerlei Hübsches und Beschauliches. Dass gerade in der
deutschen Abteilung, vorzüglich unter den Münchenern, das Interieur und die Schilderung des
heimischen Lebens einen so grossen Platz in der gesamten Produktion einnimmt, ist nicht eben
eine zufällige Erscheinung. Es Hesse sich an der Hand der Kataloge unserer jährlichen Ausstellungen
leicht nachweisen, dass in der Malerei nächst der Landschaft die Darstellung unserer nächsten
Umgebung, vor allem des Hauses, die meisten Vertreter findet. Darin offenbart sich unser
Charakter, unser Wesen aufs beste. Neben der Freude an der schönen Natur ist es das Heim-
gefühl, das in uns am stärksten entwickelt ist, und diese Empfindung kommt selbstverständlich
auch in der Kunst zum Ausdruck.
Neben dem Schilderer des Volkslebens,
Defregger, hat auch der gediegenste Meister
der Palette, Leibl, hierin das allerbeste seiner
Kunst gegeben. Es ist gewiss kein Zufall,
dass gerade die Nationen, bei denen das
Haus und Heim eine grosse Rolle spielt,
nächst den Deutschen die Holländer, die
Dänen und Schweden, die Interieurmalerei
gepflegt und ausgebildet haben. Am stärksten
offenbart sich diese Neigung, sowohl nach
der Seite der Darstellung gemütlicher Zu-
stände, als auch nach der des rein male-
rischen Ausdruckes, bei den Holländern.
Diese erweisen sich darin als die wahr-
haftigen Erben einer grossen Tradition. Wir
können nicht unterlassen, im Zusammen-
hange mit dem bisher Geschilderten auf
das Zunächstliegende in der ausländischen
cu„., ro„ H.Hi,;,hm,se„. Leonore Abteilung hinzuweisen : Israels steht uns
DIE KUNST UNSERER ZEIT
213
mit seinen Bildern, in denen die ganze Heimseligkeit des holländischen Hauses zum Ausdruck
kommt, am nächsten. Vor Israels Bild „Das stille Mütterchen" geht dem gefühlvollen Beschauer
das Herz auf. Daraus spricht ein schlichtes menschliches Empfinden, was weit mehr ist als alle
Kunst der Malerei. Im wirklichen Sinne äussert sich gar keine Kunst in seinen Bildern, das
heisst keine Kunst,
die auf bestimmten
Regeln und Voraus-
setzungen aufgebaut
ist und in der Lösung
eines bestimmten
formalen Problems
ihr Ziel findet. Israels
Kunst ist nicht syste-
matisch auf be-
stimmten Prinzipien
aufgebaut, höchstens
ist sie psychologisch
begründet als der
unmittelbare Aus-
druck individuellen
Empfindens. Lieber-
mann drückt dies
in einem Aufsatze
über Israels einmal
so aus: „Israels malt
noch Bilder; Bilder
mit literarischem
Floris Am tzc Hills. Nach dem Regen
Inhalt. Ihm ist die
Malerei noch Mittel
zum Zweck, sie ist
ihm das Werkzeug
zur Wiedergabe sei-
ner Empfindungen.
Er will nicht den
Innenraum malen,
sondern, wenn ich
mich so ausdrücken
darf, die Psychologie
des Raumes. Er malt
den Kessel mit dem
singenden Wasser
oder das knisternde
Feuer auf demHerde,
um die Heimlichkeit
des Stübchens aus-
zudrücken." Das ist
es, was uns an Israel
so gefällt, was ihn
uns Deutschen so
lieb und vertraut
macht, die Innerlichkeit, die Poesie, die aus seinen Schöpfungen herausleuchtet.
Es ist ganz interessant, Kunstwerke auch einmal von der technischen Seite aus zu betrachten,
„denn es ist ungeheuerlich viel Handwerkliches in der Kunst, viel Probieren nötig, viel mechanische
Arbeit." Es kommt gar viel auf die Ausdrucksweise an, es gilt, den kürzesten und sichersten
Weg zu finden für das, was man zu sagen hat. Der gemütliche Betrachter und Ausstellungs-
bummler braucht sich allerdings um diese Fragen nicht zu kümmern, für den existiert in erster
Linie nur der Gesamteindruck — das Bild. Aber es schadet gar nichts, wenn sich der Liebhaber
auch einmal mit diesem Teil der Kunst etwas beschäftigt. Es wird ihm vieles verständlicher
werden, er wird den innigen Zusammenhang der technischen Gestaltung mit dem künstlerischen
Ausdruck erkennen und dabei bemerken, wie innig Malweise und Stil miteinander zusammen-
hängen.
214
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Leo Samberger. Bildnis des Dr. Schnitzler, Köln
In Zeiten, da der Kunst im allgemeinen
wenig Bedeutung zukommt und sie nur ein
kümmerliches Dasein fristet, da steht auch
die technische Ausbildung der Maler auf
einer niederen Stufe. In kunstfrohen Zeiten
hingegen ist die hohe technische Aus-
bildung Gemeingut aller Künstler. Die
Früheren waren im Besitze einer reichen
Tradition, sie konnten darum in ihrer Art
Reifes und Vollendetes schaffen. Wir sehen
z. B. die Technik der Freskomalerei Ein-
fluss auf den Stil der italienischen Malerei
gewinnen und ihren eigenartigen Charakter
mit ausprägen helfen. Nicht weniger an-
regend hat die Ölmalerei auf die nieder-
ländische Kunst gewirkt. Die neuere deutsche
Malerei lag im Anfange des 19. Jahrhunderts
schwer darnieder, weil die Maler nicht mehr
malen konnten ! Leibl war der erste, der das
verachtete Handwerk in der Kunst wieder zu
Ehren brachte. Man kann ihn den Be-
gründer einer rein ,, malerischen Malerei" nennen. Leibl hatte es den Alten abgesehen, wie sie mit
Pinsel und Palette hantierten. Auch dem französischen Maler Courbet verdankte er viel. Die Farbe
war sein natürliches Element. Er setzte mit sicherem Pinsel Strich an Strich. Leibl malte seine Bilder
herunter, indem er an der Leinwand oben
anfing und unten aufhörte, alles in nasser
Farbe. Darin liegt die ganze Weisheit der
Ölmalerei. Die Farben wachsen zusammen
und ergeben einen schönen samtartigen
Ton, einen eigenen Schmelz und Email.
Es entsteht beim späteren Verwachsen der
Farben ineinander, das sogenannte Alters-
gold, ein überaus vornehmer prächtiger
Ton, der von Kennern sehr geschätzt wird.
Dieser Ton, sozusagen die Patina der Öl-
farbe, bedeutet für den Kenner der Malerei
dasselbe, was für den Feinschmecker das
Bukett des Weines ist. Jea» l'nni /■»iirnui. Da» Vortimmer Monscigneurs
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üeorK Schuster-Woldaii piiix. Phol. f. ^anbtaengl, München
Mädchenbildnis
DIE KUNST UNSERER ZEIT
215
Die Ausstellung enthält ein paar Studienköpfe von Munkacsy, vor allem einen ungarischen
Bauern mit dem Schafpelz um die Schulter, einem tuchenen Wams, Mütze und einer Pfeife von
rotem Ton in den Händen. Die Farbe ist weich und flockig hingesetzt. Sie gibt das Stoffliche,
Haut, Haare, Wolle etc. täuschend wieder. Und dabei ist doch alles gross, breit und flächig
gehalten und das Kolorit so tief und satt, wie man es bei neueren Werken selten findet.
Karl liliiK. Bildnis des Grafen von Moy
Nicht nur Leibl und Munkacsy sind zu nennen. Auch ältere Münchener Meister haben gezeigt,
dass man um 1870 — 1880 sich trefflich aufs Malen verstand. Was hat nicht Defregger für herr-
liche Studienköpfe geschaffen ! Die vor kurzem veranstaltete Ausstellung von Defreggers Werken
bei Heinemann hat Ölbilder von seltener Schönheit gezeigt. Wie malt man jetzt?
Unter den Sezessionisten ist ja das Schlagwort einer malerischen Maierei zum Glaubenssatz
erhoben worden, sie setzen ihren grössten Ehrgeiz darein, malen zu können. Zwei Meister sind
es vor allem, die hier tonangebend sind, Herterich und Zügel. Von dem ersteren ist zwar
auf der heurigen Ausstellung im Glaspaiast nichts zu sehen, aber nichtsdestoweniger steht er doch
sichtbar hinter manchem jungen. Man erkennt die Herterichschüler alle an der besonderen Art
ihrer Farbgebung. Es ist immer dieselbe Melodie, nur in verschiedener Tonart, bald Dur, bald
XVI 32
216
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Moll. Bei Zügel und seinen Anhängern ist es nicht anders. Zügel wirkt durch seine blendende
Virtuosität noch verführerischer. Er reisst zur Nachahmung hin. Eine Zeitlang glaubte man,
nichts wäre leichter, als mit einem farbensatten Pinsel und einer reichbesetzten Palette ä la
Zügel zu arbeiten. Die Bilder strahlten
förmlich feurige Gluten und Sonnenhitze
aus. Eine ungemeine Buntheit und Farben-
freudigkeit trat zu Tage. Das rein de-
korative Moment überwog. Dass
dieses Bestreben sehr bald zu allerhand
bedenklichen Effekten in der Malweise selbst
führte, können wir an verschiedenen Bildern
beobachten. Wir dürfen nur darauf achten,
auf welche Weise z. B. die Erscheinung des
glänzenden Sonnenlichtes durch die Farbe
auf der Leinwand hervorgerufen wird. Das
jetzt dabei beliebte Verfahren ist folgendes :
Die tieferen Stellen, die schattigen Partien
im Bilde, bedürfen nur wenig Sättigung,
es genügt ein dünnflüssiger Auftrag von
Farbe, dagegen müssen die lichten und
hellsten Stellen sehr pastos aufgetragen
werden. Dabei läuft der Künstler Gefahr,
durch die stark belichteten Stellen und
Flecken die Form zu zerreissen und auf-
zulösen. Es ist ein Bild von Zügel in der
Ausstellung, das eine Schweineherde unter
Bäumen in der Halbsonne zeigt. Man
fragt sich zuerst, was soll das Durch-
einander, das Chaos bunter Farbflecken
bedeuten. Sind es Steine, Laubmassen,
Sträucher, die von Sonnenblitz getroffen in allen möglichen farbigen Tönen schimmern? Erst
durch eine Orientierung im Kataloge erfahren wir, dass wir suhlende Schweine vor uns haben.
Einen ähnlichen Fall bietet ein Bild von Piepho. Man sieht eine junge Dame im Garten
beim Frühstück. Die Morgensonne umspielt diese in Weiss gekleidete Gestalt. Lichtflecken
haften da und dort, besonders im Schosse des Mädchens, in dem die beiden Hände ruhen.
Statt der Hände sehen wir nur ein buntes Durcheinander rötlich schimmernder Farbflecken
— ein geringer Ersatz für ein paar hübsche Hände. Was ist schuld an dieser unseligen
Auffassung? Nichts anderes als ein vager Begriff von Naturwahrheit, der immer noch in einigen
Jiitbert Weisa. iJame iii ?)chwarz
DIE KUNST UNSERER ZEIT
217
Robert Wcinp. Dämmerung
Malerköpfen spukt. Die Figur gilt nicht mehr, als ein Stilleben und ein Stück Landschaft. Wie
durch das Freilicht die Form geschwächt wird und nur unklar in die Erscheinung tritt, zeigt auch
„Die Sommerweide" von Hayek. Ein weisser Schimmel im Grünen, Sonne hinten und Sonne
vorn, mitten darin der Schimmel als Beleuchtungsobjekt. Mag man immerhin das Tier als eine
zufällige Erscheinung in der Natur betrachten und es zum blossen Träger und Objekt farbiger
Erscheinungen machen, man kann die Form doch nicht ganz ignorieren. Ein Überschuss an
malerischem Gefühl, ein gewisser Lyrismus in der Farbe führt sehr häufig zu Extremen. Von den
zahlreichen durch Zügel herangebildeten Künstlern steht Schramm-Zittau dem Meister am
nächsten. Aber er weiss sich klug zu beschränken, indem er immer Motive sucht, bei denen der
starke farbige Ausdruck der Erscheinung angemessen ist. Sein Bild stellt Hühnervolk in der
218
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Sonne dar. Ein ganz ähnliches Motiv behandelt auch Hubert von Heyden. Grässel malt
wieder mit starker naiver Freude an dem farbigen Leben sein Entenvolk am Wasser und im
Wasser. Die impressionistische Darstellungsweise feiert ihre Triumphe in einem kleinen Bildchen
von Angelo Jank „Heidi". Wir sehen in toller Jagd Herren und Damen auf flinken Pferden
über Hürden hinweg ins weite Feld hinaussetzen; ein Augenblicksbild, wie es uns zuweilen der
Kinematograph vorführt. Trotzdem ist es dem Maler gelungen, diesen Moment im Bilde in
seiner ganzen Frische und Lebendigkeit zu fixieren. Diese temperamentvoll hingesetzten Striche,
Punkte und Farbflecken erzeugen in uns augenblicklich die Vorstellung einer bewegten momen-
tanen Erscheinung; Technik und künstlerische Absicht decken sich.
Die modellierende Kraft vieler nebeneinandergesetzter Farbflecken lassen ein paar Studien-
köpfe von Walter Püttner erkennen. Die Pinselstriche sind in einer gewissen rhythmischen
Anordnung, die der Form des Gegenstandes entspricht, breit und sicher hingesetzt. In der Nähe
sehen wir wieder nur ein Chaos roter, gelber, brauner, grüner Flecken, aber in einem gehörigen
Abstand von dem Bilde formuliert sich daraus die malerische Erscheinung des gesunden von der
Luft und Sonne gebräunten Kopfes einer Bauerndirne im Grünen. Walter Thor arbeitet ganz
ähnlich, nur weniger derb. Er vereinigt schon auf dem Bilde die Farbflecken zu einem einheitlichen
Gesichtseindruck, wodurch er eine viel gleichmässigere harmonischere Gesamtwirkung erzielt.
Seine Vortragsweise ist eleganter und feiner. Eine junge Dame in Weiss, vor einen grünen
Hintergrund gesetzt, wirkt sehr vornehm. Ein sammetartiger weicher Ton liegt über dem Bilde
einer jungen Frau in schwarzem Kleid und grauem Hut. Das Bildnis des Prinz-Regenten erscheint
uns wie ein Gobelin von ruhig dekorativer Wirkung. Ganz besonders eignet sich diese Malweise
für kontrastreiche farbige Stimmungen. Philipp Klein ist ein Virtuos darin, vielfarbige Stoffe,
seidene Kleider, Lederkoffer und Möbel zu einem
Stilleben von erlesenen koloristischen Reizen zu-
sammenzustellen. Sein Farbenauftrag erscheint weich
und locker, die Modellierung und Zeichnung der
Gegenstände aber doch bestimmt und energisch.
Ganz ähnliche Wirkungen erreicht auch Münzer,
wenn er das Stoffliche eines seidenen Kleides, das
weiche Fleisch, die sammetartige Weichheit und
Glätte der Haut darstellt. Doch am besten von
allen diesen gelingen solche Experimente Leo Putz.
Sein grosses Bild „In der Garderobe" ist ein Meister-
stück der Ölmalerei. Seidene Trikots, Röcke, Spitzen,
Hüte und nackte Arme bilden das malerische
Motiv. Aber von all diesem sieht man nur mehr
einen zarten farbigen Schimmer, wie ihn die Stoffe
im Lichte ausstrahlen. Die Ölfarbe ist völlig ent- Kinm,, Loffhi Athenerin
DIE KUNST UNSERER ZEIT
219
materialisiert. Für diese ungemein feinfühlige Wiedergabe malerischer Eindrücke eignet sich die
Temperafarbe noch besser. Alle Schwere, alles Materielle, Trockene und Harte wird aufgelöst, es
bleiben als ein letzter Rest der Dinge nur mehr feine Reize, ein farbiger Hauch und Duft zurück.
Alles Körperliche ist in das Bereich des Geistigen erhoben zu einem Spiegelbild der Phantasie.
Andre Dcvaiiibez. Der Angriff, Boulevard Montmartre
Auch sein Bild „Im Zaubergarten" ist solch eine freie künstlerische Schöpfung. Der malerische
Ausdruck für rein Gefühlsmässiges ist mit Hilfe dieser eminent geistreichen Technik erreicht.
Nichts hindert den Künstler, seiner Empfindung Abbruch zu tun oder sie in eine gewisse Form
zu transparieren ; er kann frei schalten und walten wie er will. Das Material in seiner dünn-
flüssigen Konsistenz erlaubt ihm, wie mit Wasserfarben jede Erscheinung als eine leichte duftige
Impression wiederzugeben. Auf einem ganz anderen Wege wie Putz erreicht Raffael Schuster-
Woldan ein ähnliches Ziel. Von vornherein wird er nicht so direkt durch rein malerische
Empfindungen auf dieses Ziel hingeführt. Er geht öfter von bestimmten geistigen Vorstellungen
aus, für die er in der Malerei Ausdruck sucht und findet. Sein grosses Gemälde „Das Leben" lässt
aber doch sofort erkennen, dass es vom ersten Augenblick an farbig gedacht war. Nur ist das
220 DIE KUNST UNSERER ZEIT
Gegenständliche, ein liegender weiblicher Akt in einer Landschaft, nicht bloss farbige Impression.
Es soll darin das Körperliche, Plastische der Erscheinung, wie das Räumliche in der Landschaft
zum Ausdruck kommen. Es ist ein durchaus malerischer Gedanke, den ausgestreckt liegenden
nackten Körper auf einem sammetartigen Teppich von grüner Farbe darzustellen. Das stumpfe
Grün hebt die leuchtende Farbe des Fleisches noch mehr, das warme Sfumato kontrastiert trefflich
zu den kühlen grauen und blauen Tönen der Landschaft. Es ergibt sich ein Ausdruck von einer
weichen, melancholisch lyrischen Stimmung, es zeigt sich aber auch darin eine ausgeprägte
künstlerische Weltanschauung. Wer Raffael Schuster-Woldans Schaffen verfolgt hat, wird zwischen
seinen verschiedenen Bildern, „Auf freier Höhe", „Legende", „Sonett", „Das Leben" gar bald
einen bestimmten Zusammenhang herausfinden. Sie sind alle das Produkt eines ästhetisch fein
empfindenden Geistes und doch bei aller Idealität voll künstlerischer Realität. Wir sehen also
hier die Farbe als Mittel zum Zweck, als ein Medium, durch das uns der Künstler seine subjektive
Weltansicht übermittelt, gewissermassen ein Geistiges objektiviert. Es liegt in diesem Vorgehen
ein bedeutsames Zeichen der Zeit. Man könnte diese Symptome als eine Abkehr von der blossen
Wirklichkeit, als eine neue Romantik auffassen. Wir sehen gerade auch die schaffenskräftigsten
Künstler, starke Realisten der Farbe wie z. B. Exter, Stuck neuerdings in Farben fabulieren und
dichten. In einem grossen mehrfach abgeteilten Bilde behandelt Exter frei nach Gottfried Kellers
Erzählungen „Tanzlegendchen" diesen poetischen Stoff auf seine Weise.
Noch freier gibt Philipp Otto Schaefer poetische Stoffe und sucht dafür Ausdruck
im rhythmisch bewegten Spiel der Linien und Farben. Die lineare Komposition bildet gleichsam
die Architektur des Bildes, der zeichnerische Ausdruck bestimmt die Form und die Farbe die
Instrumentierung, die Begleitung zu der einmal angeschlagenen Melodie. Schaefer hat die Tonart
gefunden, die zum Ausdruck poetisch gefühlvoller und geistig hochgestimmter Vorstellungen passt.
Seine Phantasie ergeht sich am liebsten in einer arkadischen Welt, in der die Menschen im
innigsten Zusammenhang mit der Natur stehen. Vor Bildern wie „Sonata pacifica", „Raub der
Europa", „Kindheit des Bacchus" kommt uns Schillers Dithyrambus in den Sinn: „Als ihr noch
die Welt regiertet, an der Freude leichtem Gängelband." Schaefers eigenartige Ausdrucksweise,
die gobelinartige Wirkung seiner Bilder weist aber auch zugleich auf ihre weitere Bestimmung
hin, nämlich vornehm ruhige Räume zu schmücken, den geniessenden Sinn des Beschauers zu
erheitern und zu erfreuen. Ansätze zu einer Kunst, wie sie schon einmal in der Renaissance der
Welt geschenkt wurde, treffen wir in der neueren Zeit, seit man den Begriff einer angewandten
Kunst recht erfasst hat, öfter. Aber auch nur Ansätze, so lange sich diese Kunst darauf
beschränken muss, im Format des Staffeleibildes Ausdruck zu finden. Unsere Zeit gibt dem
Künstler leider wenig Gelegenheit, seine Ideen auf grossen Wänden ausbreiten zu können. Die
Kirche, einstmals der Sammelpunkt aller angewandten Künste, ist ganz in einer retrospektiven
Richtung befangen. Sie verwechselt den Begriff religiöser Kunst mit dem einer archaistisch
dogmatischen Kunst. Sie schliesst sich gegen alles Neue ab und begnügt sich immer wieder
damit, die verschiedenen alten Stilarten zu erneuern. Das ist gerade so, als ob man schon einmal
DIE KUNST UNSERER ZEIT
221
getragene und abgelegte Kleider wieder verwendete. Der Staat zeigt sich vorderhand auch wenig
dazu geneigt, öffentliche Gebäude von berufenen Künstlern ausmalen zu lassen. Das augustische
Zeitalter, wie es einmal unter König Ludwig I. in München blühte, ist vorüber. Damals war der
Sinn auf die Erneuerung einer grossen Kunst gerichtet. Cornelius und Wilh. Kaulbach kamen diesem
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Georg Pcqyiieritz. Junge Mutter mit Kind
Bedürfnis entgegen. Leider waren diese Künstler noch nicht im Besitze aller Ausdrucksmittel.
Das harte Wort, das König Ludwig über Cornelius sprach: „Ein Maler muss malen können",
war in einem gewissen Sinne berechtigt. In der Vervollkommnung der malerischen Aus-
drucksweise hätten wir es glücklich weiter gebracht, es fehlt nur wiederum die stilbildende
Kraft, der grosse Ernst des Wollens und Strebens, der einen Cornelius beseelte. Seit
Jahren kann man in der Scholle Bilder auftauchen sehen, die über den Rahmen des Staffelei-
bildes hinausstreben. Sowohl in der malerischen Wiedergabe als im Stoffe selbst wird etwas
Neues angestrebt. Eichler wie Erler brachten immer wieder grosse dekorative Schöpfungen,
nur wundert man sich, dass sie nicht auf diesem Wege zu einem endgültigen Resultat gekommen
222
DIE KUNST UNSERER ZEIT
sind. Es musste überraschen, als Eichler im Vorjahre mit einem neuen Experimente, eichene
Bretter als Malgrund zu benützen, hervortrat, eine blosse Spielerei, die einem so ernsten
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' opyrighl i<a>^ by hr^nt llinf«tJi*nct
Max Nonneiihnich. Traumbild
zukunftsreichen Talente gar nicht ansteht. Man kann freilich nicht verlangen, dass sich die
Künstler immer für ihre Ideen opfern und Zeit und Kraft an grosse Unternehmungen wenden, die
dann keine weitere Unterstützung finden. Hier könnte eben nur eine rationelle Kunstpflege helfen,
die solchen Talenten die richtigen Aufgaben zuweist.
Claus Meyer piiix
CupjrriRht Itoi by Kranz HanixienKl
Ein lieber Besuch
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
223
Erler hat es auch heuer wieder unternommen mit einem grösseren Gemälde aufzutreten.
„Fremdlinge" heisst er das Bild. Ein paar junge kräftige Männer sind in einem Schiffe über das
Meer gekommen und an einem fernen Gestade mit wundersamen pittoresken Felsen gelandet.
Kraftvoll und selbstbewusst stehen sie auf dem neuen Boden, ihre Ruderstangen in Händen. Hinter
den blonden jungen Männern leuchtet das blaue Meer. Es ist ein eindrucksvolles Bild oder viel-
HaniiniKl (i^niie/(f. Am Strand von üstende
mehr doch nur ein Teil eines solchen. Man denkt sich unwillkürlich die Fortsetzung dazu. Das
Leben auf dem Schiffe, die zukünftigen Taten und Ereignisse in dem neuen Lande. Wie schön
wäre es, die Räume eines Gebäudes in der Nähe des Meeres, z. B. in einer nordischen Stadt, mit
solchen Bildern zu schmücken ! Hier in München würde dieser Stoff weniger leicht aufgegriffen
und verstanden werden. Da liegt uns Georgis „Brotzeit" schon näher. Dieses sommerige Feld
zur Erntezeit, die hochbeladenen Wagen, die von der Sonne gebräunten und von der Hitze
geröteten Gesichter der Schnitter und Schnitterinnen sind ohne Kommentar jedem verständlich.
Nur haben wir es hier nicht mit einem dekorativ gedachten Wandbilde, sondern mit einem
malerisch sehr reizvollen Episodenbilde zu tun, das in einem beschränkteren Format noch viel
intimer und reizvoller zur Geltung käme.
Stuck gehört zu den Malern, die eine neue Note in unsere dekorative Malerei
bringen könnten. Er hat ein ausgesprochenes Stilgefühl. Mehr wie alle anderen weiss er mit
XVI 33
224
DIE KUNST UNSERER ZEIT
beschränkten Mitteln, durch einfache Flächen-
wirkungen, raumschmückend zu wirken. Ein
köstliches Bild ist der in ein Achteck komponierte
alte Faun mit dem frischen Jungen. Das Bild
ist als Wandfüllung gedacht und zeigt die
Malerei in ihrem absoluten dekorativen Charakter.
Etwas anderes ist die Art, die Hodler vertritt.
Er versucht mit den einfachsten Mitteln, nur
durch die Linie, zu wirken. Die Farbe er-
scheint ganz flächenhaft, sie hat keinen Anteil
an der Gestaltung des Raumes, daher man
beim ersten Anblick des Hodlerschen Kartons
,, Rückzug von Marignan", insbesondere beim
Anblick der vielen gestreiften Hosen, Lanzen,
Schwerter, an die Landsknechte auf Spielkarten
He,,,-,, d'E^tienne. Das erste Schiff denkt. Nun entdeckt man bei näherem Zusehen
allerdings, dass es Hodler mit dieser Art Gestaltung seiner Figuren vollkommen Ernst ist. Er
will bewusst vereinfachen, durch einfache Linien und Farben den Totaleindruck einer Figur geben.
Warum aber dieser fanatische
Zeichner die wirksamsten Aus-
drucksmittel, Überschneidungen
und Verkürzungen meidet und
sich mit den allereinfachsten
Flächenwirkungen begnügt? Wie
viel mehr könnte er durch eine
mit künstlerischen Mitteln be-
wirkte Raumillusion erreichen!
Nur von einigen ganz im Vorder-
grund stehenden Figuren hat man
das Gefühl freistehender Körper,
die anderen runden sich nicht, sie
wirken wie flach aufeinander ge-
klebte Schemen. Etwas Sche-
matisches und Gezwungenes haftet
überhaupt der ganzen Darstellung
an. Und gerade dieser Stoff, die
Episode aus dem Rückzug einer
Schlacht, verträgt diese schemen-
ÄVi>7 Langhorst. Die Kamilie de« Künstlers
DIE KUNST UNSERER ZEIT
225
Gilbert von Cunal. Motiv an der Vecht
hafte Behandlung am wenigsten. Hier musste vielmehr mit allen Mitteln der Kunst das dramatische
Leben, das doch in den einzelnen Figuren zum Ausdruck kommt, auch im Ganzen viel wirksamer
gezeigt werden. Man sieht einen Haufen Landsknechte daherziehen, ihre Fahnen flattern im Winde,
sie schleppen Tote und Verwundete mit, Blut ist geflossen, von Kampf und Streit soll dieses Bild
erzählen, ein tragisches Geschick soll es in ergreifenden Zügen veranschaulichen. Und was hat Hodler
von all dem gegeben? Nur stilisierte Figuren, wie nach einem bestimmten Schema a oder b gearbeitet,
Figuren, die nach bestimmten Regeln agieren, Stellungen machen, Modell stehen und posieren,
anstatt ihr widerwärtiges tragisches Geschick zum Ausdruck zu bringen. So ist es mit einer monu-
mentalen Kunst nicht gemeint! Was wäre Michel Angelos jüngstes Gericht, wenn nichts anderes,
als eine mit wohlkomponierten Gestalten erfüllte Decke? Es kann dieses eine sein, ein grosses
Kunstwerk, das ein gesetzmässiges Gebilde, das seine Architektur in sich hat, es muss aber vor
allem das sein wollen, was es scheint, Natur und Leben im Spiegel der Kunst. Wir haben
an dieser Stelle nicht darüber zu rechten, was es sein sollte und was es sein könnte. Das künst-
lerische Schaffen geht, während wir hier zu einem Werke Randglossen machen, ungestört seinen
Lauf weiter und vielleicht ist Hodler oder ein anderer schon wieder am Werke, etwas ganz
anderes. Ungewohntes, Neues hervorzubringen.
Wenden wir unsere Betrachtungen anderen Problemen zu. In einer Reihe von Gemälden
ist mit Nachdruck auf die Darstellung der Figur im Räume verwiesen, oder vielmehr der Maler
226
DIE KUNST UNSERER ZEIT
ging dabei von der räumlichen Erscheinung der Figur in einem entsprechend farbig gestimmten
Räume aus. Habermann, Robert Weise, Bios, Exter, Papperitz, alle beschäftigt das gleiche Problem,
alle erstreben die gleiche Lösung, nur auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln.
Habermann stellt eine Dame in einfacher grauer Kleidung vor eine graubraune Wand und erreicht
trotz dieser akzentlosen
Gegenüberstellung eine
gewisse Wirkung. Exter
geht wieder stark in die
Farbe. Sein Selbstporträt
zeigt den Künstler im
grünen Rock vor einem kar-
mesinroten Vorhang und
einem dahinter liegenden
Arbeitsraum mit diffusem,
rötlich gefärbtem Licht.
Bios stellt den Fürsten
Quadt in ganzer Figur
dar. Er überwindet die
Schwierigkeit, eine hell-
blaue Uniform mit blitz-
enden silbernen Abzeichen,
Orden und Waffen, zu einer
einheitlich gestimmten Er-
scheinung zusammenzu-
fassen. Er vermag sogar
noch mehr, er stimmtauch
die entsprechende Um-
gebung dazu und schafft
ein vornehmes Repräsen-
tationsbildnis, das jedem
Patil Iiittiiiitcitrii. Bildnis der Frau von Mierka
Räume zur Zierde ge-
reichen würde. Papperitz
stellt uns eine elegante
Dame in ganzer Figur
geschickt vor Augen.
Sehr sorgfältig und doch
malerisch wirksam ist die
elegante Kleidung der
Dame durchgeführt, ein
wesentliches Moment für
die ganze Art dieser Re-
präsentation. Ein jüngerer
Künstler, Adolf Heller, be-
schäftigt sich gerade mit
diesem malerischen Pro-
blem sehr eingehend. In
mehreren Bildnissen zeigt
er einen sehr feinen Ge-
schmack, seidene apart
gefärbte Stoffe, Kleider-
tuch, feine Handschuheetc.
zu reizvollen malerischen
Harmonien zu vereinigen.
Keine leichte Aufgabe stellt
sich Langhorst in dem
Porträt seiner Familie, in-
dem er auf einem möglichst gedrängten Räume vier Personen, alle lebendig, ausdrucksvoll, in
Beziehung zu einander zu setzen weiss. Auf jeden Fall ein sehr beachtenswertes Bestreben, die
Monotonie eines Gruppenhildes zu überwinden. Auch Geffcken ist bei seinem Gruppenbildnis von
vier Herren ganz ähnlich verfahren. Scholz bringt eine neue Note in sein Bildnis zweier Kinder
dadurch, dass er sie in kleidsame Kostüme steckt und in eine hübsche Landschaft stellt. Kinder
im Freien, ein sehr ansprechendes Motiv ! Ein Porträtmaler sollte überhaupt Kinder nur im
vertrauten Umgang mit ihren Haustieren und mit ihrem Spielzeug beobachten, da würde er eine
Menge drolliger, sinniger, lebensvoller Züge aufgreifen können. Georg Schuster-Woldan, mit
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Otlo Hiurl-Ucronco piiix.
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
227
feinen Emplindungen für das kindliche Wesen und den kindlichen Charakter begabt, hat dieses
Moment in vielen poetisch gestimmten Bildern zum Ausdruck gebracht. In seinem Mädchen-
bildnis ist das Anmutige und Liebenswürdige einer kindlichen Erscheinung herausgearbeitet und
mit allem Zauber malerischer Stimmung umgeben.
Ein wiederum auf vornehme Repräsentation gestimmtes Bildnis stellt uns Raffael Schuster-
Woldan in dem Porträt der Frau Friede-
berg in Berlin vor. Hier soll vor allem die
Persönlichkeit mit ihrer Eigenart in ihrem
ganz individuellen Ausdruck sprechen.
Die schöne geistvolle Frau ist hier dar-
gestellt, geschmückt mit all dem, was
einer Frau gefällt. Gelingt es einem Maler,
eine schöne Erscheinung in ein richtiges
Licht zu stellen und alle Momente zu
einem einzigen sichtbaren Ausdruck zu
vereinigen, so gibt uns ein solches Bildnis
etwas, worin sich sozusagen die Gattung
selbst repräsentiert. Es liegt zwar nicht
im Wesen des Bildnismalens, solche
Wirkungen als Regel anzustreben, wie
es nicht in der Absicht der Natur liegt,
in jedem Individuum eine bestimmte
Gattung zum Ausdruck zu bringen. Das
Bildnis soll die Natur, das besonders
ins Auge gefasste Objekt getreu dar-
stellen. Die Bildniskunst soll im all-
gemeinen nichts weiter sein, als ein
scharfgeschliffener Spiegel, der die Züge
jedes Einzelnen naturwahr wiedergibt.
Ungeachtet dessen lässt sich aber die
Kunst doch nicht beschränken, sie ist das Bereich der unbegrenzten Möglichkeiten. Dafür
spricht schon das Vorhandensein zweier Meister wie z. B. Holbein und Leonardo da Vinci.
Zwischen einem Holbeinschen Porträt und der Mona Lisa von Leonardo liegen unendlich viele
Zwischenstufen.
Fritz August von Kaulbach, der Maler schöner Frauen und hübscher Kinder, füllt auch
heuer wieder einen eigenen Raum mit Bildnissen. Das Kaulbach-Kabinett bildet entschieden einen
Glanzpunkt der Ausstellung, da wir hier in aller Ruhe das Schaffen und die Werke eines Einzelnen
geniessen können. Kaulbach erweist sich als ein äusserst geschmackvoller, an einer alten künstlerischen
lüliianl Vfi/Ii. Bildnis der Baronesse M.
Franz (iräsKvl. linteii
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P. S. Krmjer. Weinlese in Tirol
DIE KUNST UNSERER ZEIT
229
ädoiiard Detaille. Kavallerie-Rekognoszierung
Kultur gebildeter Künstler. Es genügt ihm nicht, seine Modelle einfach vor den Beschauer hin-
zustellen, sondern er macht aus jedem Porträt ein dekorativ wirkungsvolles Bild. Wir erkennen
in seiner Anordnung sofort den Maler. Wie reizvoll weiss Kaulbach zu arrangieren. Man darf
nur das Gemälde mit den drei Kindern, die von einem Kranz reifer Früchte umgeben sind,
betrachten oder das mit dem kleinen Jungen und dem Hündchen zur Seite. Die Bildwirkung
wird noch gesteigert durch den Rahmen von Reblaub, der dieses hübsche Bild umschliesst und
auf einen weiteren Raum, auf eine in neutralen Tönen gehaltene Landschaft hinweist. Doch
ist dieser Ausblick so gegeben, dass das Auge nicht davon festgehalten wird, sondern von selbst
immer wieder auf das hübsche Gesicht, die klugen leuchtenden Augen des Jungen zurückkehrt.
Kaulbach verfügt über einen reichen Apparat von malerischen Ausdrucksmitteln, den er klug zu
verwenden weiss und mit dem er die mannigfachsten Situationen hervorzaubert. Wo jedoch die
Natur durch ein besonders hübsches und anmutiges Gesicht oder durch den Ausdruck herzlicher
menschlicher Empfindung spricht, wie z. B. in dem Bilde Mutter und Kind, da bedarf es keines
besonderen Aufwandes, es genügt all die Wärme und das Leben, das sich in solchen Erscheinungen
offenbart, in Farben und Formen festzuhalten.
In der ausländischen Abteilung muss man die guten Porträts suchen. Die eleganten Pariser
Bildnismaler fehlen. Etwas besser sieht es in dem englischen Saale aus. Nachträglich kam noch
230
DIE KUNST UNSERER ZEIT
ein echter Lavery zu uns, ein pikantes
mit viel Raffinement gemaltes Bildnis einer
jungen Dame. Sie sitzt in vornehmer
Haltung auf einem Stuhle aus der Empire-
zeit. Die rosafarbene Robe aus glänzender
Seide füllt den Vordergrund gleich einem
prächtigen Bukett von aufgeblühten Rosen.
Das farbige Arrangement des Kostüms
stimmt trefflich zu dem mattweissen Teint
und den blonden Haaren. Der Hinter-
grund ist in neutraler brauner Farbe ge-
halten. Die glänzende Erscheinung der
Dame hebt sich davon ab wie ein kost-
bares Schmuckstück in einer unschein-
baren Umgebung. Auch ein anderes Bild-
nis, von Austen Brown, ist sehr fein in
CK ih.isür. Interieur ggi^gr geschmackvollen Einfachheit. Am
nächsten kommen diesen englischen Malern die Wiener Angel! und loanowitch. Wenn wir
sagen am nächsten, so ist dabei immer noch an einen
ziemlichen Abstand zwischen Wienern und Engländern zu
denken.
Von dem Dänen Paulsen ist ein Bild „Interieur
mit Figuren" auf der Ausstellung. Man sieht durch den
Rahmen des Bildes wie durch eine offene Türe in einen
behaglich anmutenden Raum auf eine gemütliche Gesell-
schaft, die die Abendstunde beim Lampenlichte vereinigt.
Wir bewundern die ausdrucksvollen, von mildem Licht-
schein übergossenen Gesichter, in denen sich soviel indi-
viduelles Leben ausprägt. Das ist gute Bildnismalerei,
intim und doch scharf beobachtetes Leben mit indi-
viduellem Ausdruck.
Bei der Betrachtung der Landschaftsbilder auf unserer
internationalen Ausstellung müssen wir wieder zuerst bei
den Holländern anfangen. Holland ist in der Kunst das
konservativste Land. Freilich erwächst den Neuholländern
daraus leicht ein Vorwurf. Man sagt, sie bringen immer
das Gleiche. Die Ruhe und Abgeklärtheit in ihren Bildern
gilt als Ausstrahlung ihres phlegmatischen Temperaments. MiuikI Hriiin»<i,> \i,,i,,,i Andaiusicrin
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Dlh" KUNST UNSERER ZEIT
231
Und doch ist in diesem Streben viel Gutes. Wir bedürfen gerade dieser Ruhe und Aus-
geglichenheit. Die Landschaftsmalerei muss vor allem darnach trachten, einfach und feiner
im Ausdruck zu werden. Es erging uns seltsam, als wir mitten in der Ausstellungszeit einmal
die Galerie alter Meister besuchten. Ahnlich wie im Glaspalast hängt an den Wänden Bild
an Bild. Die ungeheuere Verschiedenartigkeit im Stoff und im künstlerischen Ausdruck fällt
gar nicht auf. Es ist so vieles nebeneinander, ohne dass eines das andere beeinträchtigt.
Das Gute, Reife und Abgeklärte verträgt sich. Können wir dasselbe von unseren Ausstellungen
sagen? Mit nichten. Man muss das Gute suchen, es mit den Augen gleichsam herausschälen
aus dem Wüste einer kunterbunten Mannigfaltigkeit. Daher bei vielen Malern die Neigung zur
Übertreibung dekorativer Wirkungen, ein Streben, das die Ausstellungen entschieden begünstigen.
Selbst die Holländer neigen ein wenig dazu. Zwar bewirkt das Beispiel eines Israels, die angenehme
Zurückhaltung und der feine Takt, den er in all seinen Schöpfungen bekundet, dass auch die
anderen sich nicht zu auffällig hervortun. Und um dieser ruhigen Gesamthaltung willen ist der
Eindruck eben so angenehm. Sie fallen einem nicht auf die Nerven und stören nicht. Sie wirken
wie ein kleines Orchester mit Geigen, Flöten und Klarinetten. Ruhig spielen sie ihre alten Weisen,
Alhert Ritxheiijvr. Im kühlen Grunde
XVI 34
232
DIE KUNST UNSERER ZEIT
mag auch der Nachbar nebenan noch so laut die Trommel rühren und die Pauke schlagen.
Aber trotz alledem können sie doch nicht aus ihrer Haut, sie sind eben auch Menschen des
20, Jahrhunderts, Künstler ihrer Zeit, und das will heissen, einige sind doch schon ein wenig
angekränkelt von dem Streben nach dekorativen auffälligen Wirkungen. In der modernen Land-
Edmiind iMutiot. Beim Fischverkauf
Schaftsmalerei macht sich dieses Bestreben oft recht empfindlich bemerkbar. Und gerade hier
sollte es sich gar nicht so stark hervordrängen. Gerade die Landschaft soll harmonisch, aus-
geglichen, beruhigend auf uns wirken. Diese Beruhigung, die von einem Bilde ausgehen, die
zum Beschauen und Betrachten einladen soll, fehlt den meisten modernen Bildern. Unsere Luft-
und Lichtmaler, so wesensverwandt sie ihren alten Vorfahren, einem van Goyen, Aelbert
Cuyp u. a., scheinen, sie vermögen doch nie die eigentliche Naturstimmung, die Seele der Land-
schaft vor uns hinzuzaubern. Bei meinem Gang durch die Galerie lud mich ein Bildchen von
Cuyp ein, etwas länger zu verweilen. Es stellte eine Landschaft dar, einen Ausblick in sonnige
Weiten. Alles schwimmt förmlich in einem feinen flüssigen Goldton, dessen Wärme und Leucht-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
233
kraft durch den schattigen, in
kühlen Tönen gehaltenen Vorder-
grund noch mehr hervorgehoben
wird. Direkt starke und bunte
Farben gibt es auf dem ganzen
Bildchen nicht, sondern nur feine,
zarte, durchschimmernde Töne
von einem wunderbaren farbigen
Ausdruck. Es ist Holland, das
uns die Ruisdael, van Goyen
und Cuyp darstellen. Es ist der
Stimmungszauber, die Poesie
der holländischen Landschaft, die
uns in den einfachsten Motiven,
einem unscheinbaren Fleckchen
Erde, einem Bretterzaun, einem
Teich mit nahen Ufern und im
Grünen versteckten Häusern,
einem Kanal, einem Ausblick
auf ferne Gegenden so fühlbar
entgegentritt. Dagegen fällt es
auf, wie wenig auf den Bildern
Adolf Ebcrlc. Jagdeifer
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Wiiltfi drffr/.fii. Gruppenbilclnis
der jetzigen Holländer jener
Stimmungsgehalt der Landschaft
zu einem gleich originellen und
eigenartigen Ausdruck kommt.
Ausgenommen Israels, der seine
Bilder zu einer wundersamen Ein-
heitlichkeit in Ton und Farbe
stimmt und zugleich eine tiefe
poetische Wirkung erzielt. Die
Modernen halten sich wohl in
ihren Motiven an ihre nächste
Umgebung, aber sie wissen doch
nicht den eigenartigen Zauber
dieser Natur voll zu erfassen.
Sie sehen immer noch durch zu
viele Brillen. Brüssel liegt zu nahe
234
DIE KUNST UNSERER ZEIT
beim Haag, Brüssel und Paris hängen wiederum zu sehr zusammen, als dass darin eine Eigenart
zu volikommner Entwicklung gelangte. Man kann nicht originell und selbständig empfinden,
ohne auch im Ausdruck originell und eigenartig zu sein. Wie gut wären die holländischen Maler
daran, wenn sie sich Scheuklappen umziehen könnten, so oft sie Reisen unternehmen, oder wenn
sie ruhig in irgend einem stillen Winkel ihres Landes sitzen blieben und in ihrer Natur das auf-
suchen würden, was die Anschauung und die Phantasie ihrer Vorfahren beständig angeregt und
/'(//// Me!)trheim. Löwenpaar
befruchtet hat. Statt dessen gibt es auch hier viele, die in Paris oder in Brüssel studieren und
weiss Gott wo überall herumziehen, um die neuen Moden mitzumachen.
Der Impressionismus, der eingestandenermassen die Malerei in ähnliche Bahnen leitete, wie
sie die alten Meister wandelten, hat vielfach das nicht gefördert, was in der Kunst das Erste und
Wichtigste ist, die eigentliche Ausdrucksbeziehung zwischen Künstler und Natur. Nicht um ein
Einsammeln von Eindrücken handelt es sich bei der Malerei, nicht um mehr oder weniger getreue
Aufzeichnungen von flüchtigen Wahrnehmungen, das alles könnte schliesslich auf rein mechanischem
optischem Wege auch zustande kommen. Wir haben doch im Kinematographen bereits ein Instrument,
das uns die flüchtigsten Wahrnehmungen ganz getreu übermittelt. Will ein Maler nichts weiter als
darstellen, wie ein Biergarten um 1 1 Uhr Mittags oder um -^j^b Uhr Abends aussieht, so genügt eine
Impression und derjenige Beschauer, der sich für den Tatbestand interessiert, mag sich damit
zufrieden geben. Aber man behaupte doch nicht, in der Lösung solcher Aufgaben bestünde der
einzig erstrebenswerte Zweck der Malerei. Und schliesslich, was vermag der Maler, der mit dem
farbigen Momentbilde der Natur wetteifert, gegen die Unmittelbarkeit und Schlagkraft dieser Wirkungen.
DIE KUNST UNSERER ZEIT
23b
George Heiiiliik Jitfitiur. Strasscnaiilage in Amsturdain
Das stärkste Rot, das reinste Gelb
pracht der Natur.
Es bleibt immer
nur ein relativer
Ausdruck des Ge-
schauten. Je mehr
starke leuchtende
Farben auf einem
Bilde, desto schwie-
riger ist die Einheit
und Konzentration
der Stimmung zu
erreichen. Es zeigt
sich , dass eine
direkte Wiedergabe
der Eindrücke, eine
oder Blau wirkt stumpf und schmutzig gegen die Farben-
Addition von blossen
Wahrnehmungen
auf einer Fläche, ent-
weder in Punkten,
Strichen oder Farb-
flecken nebenein-
andergesetzt, immer
noch kein Bild aus-
machen, sondern
dass eine gewisse
Metamorphose, eine
im künstlerischen
Bewusstsein voll-
zogene Verarbeitung
und Zubereitung der
XVI 35
Cot>jrrigl)t i9«»5 l»jf Fi ■
Alice Leotard. Trio
236
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Eindrücke für eine bewusste bildmässige Wirkung unerlässlich ist. Die eigentlichen Meister des
Impressionismus haben das auch keinen Augenblick vergessen und es gibt mehr als ein Moment-
bild, das vorzüglich komponiert ist.
Der Impressionismus, als Ausdruck rein malerischer Wirkungen, hat viel Gutes gezeitigt,
aber er hat auch die Begriffe verwirrt und vielfach die Meinung erweckt, als wäre es in der
FilijijKi Fraiuoni. Lödano, Abend (Tess'mer Dorf)
Kunst damit getan, mit einer gewissen technischen Geschicklichkeit ausgerüstet, das Nächstbeste
darzustellen, was sich dem Auge darbietet. Wir müssen wieder darauf sehen, die eigentlichsten
Probleme der Kunst mehr zu betonen und dahin zu streben, wo der Mensch mit der ihn um-
gebenden Natur ganz bei sich zu Hause ist, wo der künstlerische Sinn des Menschen sein höchstes
Genügen darin findet, zu einer immer vertiefteren, klareren Anschauung der ihn umgebenden Welt
durchzudringen. Nicht in der Wiedergabe von Eindrücken und immer wieder nur Eindrücken,
sondern im Ausdrucke der klar und deutlich geschauten und durchfühlten Natur soll die moderne
Kunst ihr nächstes Ziel sehen. Nicht immer Impressionismus, sondern Expressionismus sei ihr
nächstes Ziel! Warum wir diese Betrachtungen gerade bei den Holländern anknüpften, hat seinen
besonderen Grund darin, dass uns hier gewisse Elemente und Erscheinungen geradezu darauf
verweisen, dass hier noch ein gewisser Zusammenhang mit alten Traditionen besteht und Neigung
DIE KUNST UNSERER ZEIT
237
und Fähigkeiten vorhanden sind, die Natur dieses Landes im Sinne der Früheren wieder intim
und poetisch zu schildern. Noch mehr als den Holländern würde es den Deutschen fruchten,
wenn sie sich auf sich selbst besinnen und ihre Eigenart besser ausbilden wollten. Denn kein
anderes Land ist von der Natur mehr bedacht worden, keines hat diese Fülle und Mannigfaltigkeit
an landschaftlichen Eigentümlichkeiten und Reizen, als gerade Deutschland. Bei der Besprechung
Flitz Baer. Abend im Herbst (Schloss Blutenburg)
deutscher Landschaften werden wir auf diesen Punkt zurückkommen. Wir müssen zuerst noch
einen kurzen Überblick über die Landschaftsmalerei in der internationalen Abteilung geben. Unter
den belgischen Landschaften suchen wir vergebens nach Darstellungen von eigenartigem boden-
ständigem Charakter. Das moderne Belgien ist das Land der Industrie, des Maschinen- und Berg-
baues, deshalb hat hier die Landschaft keinen sehr grossen Raum, die Kunst gibt zumeist
Schilderungen des sozialen Lebens. Der Name Meunier sagt alles. Man kennt auch die Bilder,
die die Nachtseiten des sozialen Lebens mit abschreckender Deutlichkeit schildern. Sie wirken
wie Illustrationen zu einer Erzählung von Zolas Germinal. Die Schilderung der Landschaft steht
ganz unter dem Einflüsse der naturalistischen Prinzipien. Wir sehen nur Naturausschnitte: ein
Stück von einem Hafen mit Schiffen, ein Getreidefeld bei aufgehender Sonne, einen blühenden
238
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Arnold Marc Gorter. Heideweg
Apfelbaum in der Mittagssonne,
ein Feld bei Nebeistimmung —
immer die alten Motive nach
dem Rezept von Claude Monet
und van Goy gemalt. Diese
Landschaften könnten sämtlich
aus irgend einem Winkel und
aus einem beliebigen Lande
stammen, sie tragen ein voll-
ständig internationales Gepräge.
Wir empfangen sofort andere
Eindrücke, wenn wir uns den
Engländern zuwenden. Durch
alle diese Bilder, auch wenn sie
gerade keine Auslese englischer
Malerei darbieten, geht doch ein
einheitlicher Zug. Die Engländer lieben in der Darstellung der Landschaft das Ruhige und
Abgeklärte. Sie sind bereits so weit, alles Problematische, Experimentelle in der Kunst auf das
Atelier zu beschränken. Daher finden blosse Studien keinen Eingang ins Haus. Ein Bild ist
ihnen ein Stück Umgebung, ein Teil des Zimmers; es darf nicht aus dieser Umgebung heraus-
fallen. Daher sehen wir das fast ängstliche Bestreben, den Gesamteindruck auf einen möglichst
ruhigen gobelinartigen Ton abzustimmen.
Es sind ein paar schöne Landschaften von Wal ton und Priestmann auf der Ausstellung.
Auf dem Bilde von Walton sieht
man ins Grüne, auf einen idyl-
lischen Fleck Erde. Um die Wipfel
der Bäume legt sich die Luft,
weich und flockig, wie man es
zuweilen im Frühjahr beobachtet.
Ein Bach durchzieht die Wiese,
und das Wasser spiegelt des
Himmels Bläue wieder. Priest-
mann zeigt uns einen Fluss, der
breit zwischen sattgrünen Wiesen
und einem Wäldchen dahinzieht.
Ein Reiter auf einem Schimmel
ist an einem Ufer sichtbar, Kühe
Emma Ciardi. Die Sänfte Weiden im Grünen. Man kann
Fritz AuKiist von Kaulbach piiix.
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Geraldine Farrar
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DIE KUNST UNSERER ZEIT
239
die Reize des Landlebens, die Stimmung einer reichen und üppigen Natur nicht besser schildern.
Im Stimmungsausdruck dieser englischen Landschaften liegt etwas Eigenes, etwas spezifisch
Englisches.
Unter den nordischen Völkern, die vor Jahren hier zum erstenmal so glänzend hervortraten,
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\\'//li('/iii l.iiwith. Neiiij^kciteii
sind höchstens unter den Schweden einige Landschafter bemerkenswert. Sie zeigen im allgemeinen
noch dieselbe Neigung für starke dekorative Farben. Ihre Spezialität ist Schnee zu malen, Schnee,
wie es ihn eben nur in den nordischen Gegenden gibt. Zu dem bläulich oder rötlich schimmernden
Schnee stimmt dann die eigentümlich gefärbte, eisigklare Luft sehr gut. Hedberg ist ein solcher
Spezialist in Winter-Landschaften. Kallstenius versteht es trefflich, atmosphärische Stimmungen
darzustellen. Abends, morgens, mittags, zu allen Tageszeiten beobachtet er die Luft und prägt
sich ihre charakteristischen Färbungen und Wolkenbildungen ein. Seine Bilder wirken darum
ungemein überzeugend, sie haben eine gewisse Naturnähe.
240
DIE KUNST UNSERER ZEIT
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Heinrich Schutt. Gnomen
Bei der Betrachtung der deutschen
Landschaftsmalerei fällt sofort eines auf:
deutsche Landschaft und deutsche Romantik,
das sind fast zwei unzertrennliche Begriffe
geworden. Die Romantiker sind es zuerst
gewesen, die in ihrem Suchen nach der
blauen Wunderblume der Kunst in das
Dickicht und Dornengestrüpp des deutschen
Waldes eindrangen. Schwind hat da all
seine köstlichen Einfälle und lichten Träume
erlebt. Die Landschafter haben uns erst
die Wirklichkeit erschlossen, sie haben die
eigenartige Schönheit mancher Landstriche
entdeckt. Sie sind es, die uns die farbige
Herrlichkeit der Moore, unserer Berge und
Täler, Flüsse und Seen, Ebenen und Hügel-
gelände, die zauberischen Reize der atmo-
sphärischen Erscheinungen wiesen. Und je nach der Entwicklung der künstlerischen Probleme
wechselte auch der Schauplatz der Landschaft. Eine Zeitlang, als noch die zeichnerische Richtung
in der Landschaftsmalerei vorherrschte, suchten die Maler mit Vorliebe die Berge auf. Das felsige
Gestein mit seinen mannigfachen Bildungen und Formen bot vorzügliche Motive. Heute sehen
wir bei einer gewissen Vor-
liebe für die Gebirgswelt neben
der zeichnerischen Behandlung
auch die Farbe starken An-
teil nehmen. Man könnte sich
wohl keine grösseren Gegen-
sätze denken als die Werke
des jüngst verstorbenen Malers
S t e f f a n — einer der besten Ver-
treter der älteren Generation —
und die Bilder des in vollster
Schaffenskraft stehenden Kolo-
risten Baer. Bei Steffan die
sorgfältige Beobachtung alles
Sichtbaren, die aufmerksamste
zeichnerische Behandlung des
Hau« cm Peicmeii. Das Wrack Details, jedes Gemälde ein ge-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
241
treues Spiegelbild der Natur. Bei Baer zeigt sich alles nur in farbigen Massen, in der malerischen
Erscheinung, worin oft alles Detail und alle Form aufgelöst wird. Mit leidenschaftlicher Konsequenz
unterwirft er jedes Motiv seiner koloristisch gestimmten Empfindung. Eine ganz bestimmte Ansicht
eines Berges, gleichsam ein charakteristisches Bild seiner eigenartigen Formen, zugleich im Zu-
Umiiaiiii üibaii. Römischer Herbst
sammenhange mit der ganzen landschaftlichen Situation, gibt Strützel in seiner „Benedikten-
wand". Sie erscheint uns in ihrem anmutigsten farbigen Gewände mit einer herrlichen Aussicht auf
die ganze Umgebung bis weit in die blaue dunstige Ferne. Auf dem Bilde „Morgendämmerung"
von Schmitzberg er interessiert weniger das Bergland selbst, dieses bildet sozusagen nur die
stimmungsvolle Folie zu einem Intermezzo zweier balzender Auerhähne.
Der Wald tritt uns in der gegenwärtigen, malerischen Problemen zugewandten Zeit nur als
farbige Erscheinung entgegen. Wenn auch nicht alle Maler so weit gehen wie Trübner, dem es
in erster Linie nur um die grüne Farbe zu tun ist und dessen Auge sich an grünen Tönen uner-
sättlich weidet, so packen doch die meisten das Motiv Wald von der koloristischen Seite an. Und
242
DIE KUNST UNSERER ZEIT
der Wald ist ergiebig genug; er nährt
viele Maler und bietet ihnen kräftige Kost.
Ehemals, in der zeichnerischen Periode
der Landschaftsmalerei, konnte man von
manchen Bildern sagen, man sehe vor
lauter Bäumen den Wald nicht, jetzt ist
es umgekehrt, die Maler kommen vor
lauter Waldesstimmung nicht dazu, die
Bäume zu malen. Und jeder Baum ist
doch gewissermassen eine Individualität.
Nicht nur der Baum, sondern auch die
Bäume haben ihren bestimmten Charakter:
Eichen, Buchen, Tannen, Birken, jeder
ist anders. Nicht bloss in dem einzelnen
Blatt prägen sich gewisse Unterschiede
aus, auch die ganze Masse von Blättern,
Ästen, Zweigen zeigt diesen Charakter,
so dass man auch aus der Gesamt-
erscheinung der Bäume erkennen kann,
von welcher Art dieses Holz und dieser
Joseph Schmitzberyfr. Morgendämmerung
I laston Im Touche. Nachtfest
Wald ist. Schon die blosse Silhouette dunkler
Baummassen lässt, wiePietzsch und Haider
zeigen, sofort den Tannenwald oder den
Laubwald erkennen. Die gleiche eingehende
Charakteristik sollte auch dem Boden, dem
Terrain, auf dem die Bäume stehen, zu-
gewandt werden. Man muss fühlen, auf
diesem Grunde wachsen solche Bäume, hier
können sie wurzeln und gedeihen. S t e r n e r
beobachtete das Waldinnere mit kräftigen
Buchenstämmen und breiten Laubmassen,
durch die die Sonnenstrahlen hindurch-
dringen. Vinnen malt den Wald zur
Frühlingszeit. Er zeigt den Nadelwald mit
prächtigen gesunden Fichten und Föhren,
dazwischen stehen Laubbäume mit dem
ersten, sprossenden Grün daran. Den Boden
Heniiaiiii Kaulbach pliix.
Copjrrighl 1405 by Fraai HaiilslaenKl
Maiandacht
l'aLii Chabas j}iiiN.
Phot. K. HaiilslicnKl, München
Bildnis des Fräulein S. M.
DIE KUNST UNSEfRER ZEIT
243
bedeckt grünes Moos von satter Farbe. Moderndes Laub schiebt sich dazwischen. Es ist fetter
Waldboden, auf dem wohl so prächtige Bäume gedeihen mögen. Hagen führt uns in den grünen
Wald. Zwischen den Stämmen hindurch wandeln wir auf laubbestreuten Wegen, immer weiter,
tiefer hinein in das geheimnisvolle grüne Dunkel. Der räumliche Eindruck, sozusagen das
architektonische in dem Bilde des Waldes, ist mit grossem Geschick herausgearbeitet. Die Freude
Jozef Israels. Das stille Mütterchen
am Grün, die Lust am Walde, die uns zur Sommerszeit überkommt, wenn alles in üppiger Fülle
prangt, diese Wonne im Grünen schildert Münzer in einer feinabgestimmten grünen Symphonie.
Das prächtige Mädchen im weissen Kleide, von der Sonne beschienen, ist so recht der Aus-
druck fröhlicher Lebenslust und heller Freude am Dasein. Die träumerische Stimmung, die
der Wald zuweilen in uns erweckt, besonders zur Mittagszeit, wenn draussen die Sommerhitze
glostet und kein Windhauch durch die grünen Blätter geht, weht uns aus Erlers Bild „Der grüne
Heinrich" an. In solchen Stunden und Stimmungen, die gegen Abend noch zunehmen und an
Intensität gewinnen, da kann es einem wohl passieren, dass man im tiefen Forst an alte
Mären und Wunder denkt und, vom Halbschlaf übermannt, pUUzlich zwischen Farrenkräutern
und Moosen unter seltsamen Blumen von jenen fabelhaften kleinen Wesen träumt, die in einer
XVI 36
244
DIE KUNST UNSERER ZEIT
eigenen Welt leben und die fern
von allem menschlichen Getriebe
hier aussen im Grünen hausen,
weit draussen, wohin selten ein
menschlicher Fuss sich verirrt.
Seh litt kennt dieses kleine
Volk gut und hat es schon oft
belauscht. Auch Oberländer
weiss etwas von den Geistern des
Waldes. Es ist eine richtige Ge-
schichte, die er uns in dem Bilde,
der Zwerg und die beiden Riesen,
erzählt. Der Text dazu heisst: Es
waren einmal ein paar Riesen, die
waren tagsüber viel im Land her-
umgelaufen und hatten die Strassen
unsicher gemacht, die Kaufleute
angefallen und die Wanderer um-
gebracht, und als sie von all
diesen schlimmen Händeln müde
geworden, legten sie sich am Abend
in den Wald unter eine grosse
Eiche. Der eine fasste sein Schwert mit beiden Händen, zog die Kniee an und lehnte sich mit
dem Rücken an den breiten Stamm. Der andere lehnte seinen grossen Spiess an den Baum und
legte sich auf den Boden. Bald fingen sie an zu schnarchen, dass das Laub an dem Baume
zitterte und sich die Äste und Zweige niederbogen. Dieweil sass ein boshafter Zwerg, ein ganz
kleinwinziges Männchen auf einem Ast. Und als er die beiden unter sich so schnarchen hörte,
beschloss er, ihnen einen Schabernack zu spielen. Er warf solange Eicheln auf einen der Schläfer
herab, bis er erwachte und seinen Kameraden anstiess und sagte: „Was schlägst Du mich?" „Du
träumst", sagte der andere, „ich schlage Dich nicht". Sie legten sich wieder zum Schlaf nieder,
da warf der Zwerg von neuem seine Eicheln herab. „Was soll das?" rief der andere, „warum
wirfst Du mich?" „Ich werfe Dich nicht", antwortete der erste und brummte. Sie zankten sich
eine Weile herum, doch weil sie müde waren, Hessen sie's gut sein, und die Augen fielen ihnen
wieder zu. Der Zwerg fing sein Spiel von neuem an, suchte diesmal eine grosse Eichel aus und
warf sie dem einen Riesen auf die Nase. „Das ist zu arg!" schrie dieser, griff zu seinem Schwerte
und hieb auf den anderen los. Dieser setzte sich auch zur Wehr und so schlugen und stachen
beide in grenzenloser Wut aufeinander, bis sie alle beide tot umsanken. Das ist die Geschichte
von den beiden Riesen und dem Zwerge, so wie sie vor Jahren unsere Grossmutter erzählt
Willy Martens. Bildnis der Gattin des Künstlers
DIE KUNST UNSERER ZEIT
245
hat. Doch wenden wir uns wieder der Betrachtung der Aufgaben und Motive der Landschafts-
malerei zu.
Ein weiteres, höchst reizvolles Motiv der Landschaftsmalerei ist die Darstellung des Wassers.
Das Wasser ist der Spiegel in der Landschaft; die wechselnden Stimmungen der Luft, das Spiel
von Licht und Schatten, das mannigfache vegetative Leben in der Landschaft kommt erst
Karel Klinkenberg. Brücke in Rotterdam
durch diesen Spiegel recht zum Ausdruck. Die schönen Flussläufe mit den verschiedenartigen
Uferbildungen, die rauschenden Bäche und stillen Kanäle, einsame Weiher, Altwasser und Teiche,
das Meer in seinen ewigen Wechseln, das alles gewährt dem Auge des Landschaftsmalers eine
Welt von farbigen Eindrücken und Bildern. So lange es eine Landschaftsmalerei gibt, spielt die
Darstellung des Wassers eine wichtige Rolle. Das Wasser an sich, als flüssiges Element, das
Toben, Schäumen, Wirbeln, Wogen der Wellen veranschaulicht am besten Hans Bartels durch
seine meisterliche technische Behandlung. Die Meeresruhe dagegen, das dramatische Moment
eines im Meeressturm bedrängten Schiffes, kommt in packenden Zügen in Hans Petersens
„Wrack" zum Ausdruck. Im Gegensatz zu Bartels herrscht in Petersens Bildern die dekorative
Schönheit vor. Ein romantisches Element liegt in seiner Kunst — etwas von der Stimmung im
246
DIE KUNST UNSERER ZEIT
fliegenden Holländer ist in den beiden Bildern „Wrack" und „Seenot" zu verspüren. Ein Stück Meer
in seiner elementaren Schönheit mit brandenden Wogen, weissem Gischt auf den Wellenkämmen
und blauschwarzen schaurigen Tiefen sehen wir auf Sindings Gemälde „Lofoten." Früher, als
die Landschafter noch ausser Landes gingen, um die malerischen Reize ferner Länder auf ihrer
Paul Philip Jtink. Hochzeit in Volendam
Leinwand festzuhalten und im Malkasten mit nach Hause zu nehmen, da standen die Besucher
des Kunstvereins mit stummer Ehrfurcht vor jenen Bildern, die uns den Orient, Italien, Spanien,
Algier, das Nordkap und die Wunder der Eiswelt näher brachten. Dieser kosmopolitische Zug
in der Landschaftsmalerei hat längst aufgehört. Nicht mehr um interessante Ansichten und
Prospekte handelt es sich jetzt, sondern mehr oder weniger um die Darstellung rein malerischer
Erscheinungen, daher auch Sindings Bild in erster Linie ein malerisches Motiv ist. Er malt
das Meer, wie es sich im Norden zeigt, Karl Boehme malt die Schönheit des südlichen Meeres.
Karl Schihit. Holsteinische Landschaft
Rudolf Schramm-Zittaii. HUhnerhof
Willem Steelink. Schafmarkt in Holland
Jose Moreno Carboneto. Wallfahrt nach Rocio
DIE KUNST UNSERER ZEIT
249
Canal hat auch ein ganz bestimmtes Motiv im Auge, ein holländisches Dorf im Oktober. Der
breite Wasserspiegel im Vordergrund, die schilfbestandenen Ufer, die Pappelbäume und die roten
Dächer des Dorfes, dazu die graue, von Dünsten und Nebel gesättigte Luft ergeben die schönsten
Jacques E. Blanche. Mädchen in Sommertoilette
malerischen Wirkungen. Dieses Bild will schon die besondere Stimmung der Jahres- und
Tageszeit zum Ausdruck bringen , die malerische Stimmungskraft der herbstlich gefärbten
Vegetation im Einklang mit Wasser und Luft. Ganz prächtig ist in dieser Hinsicht ein Bild
von Schönleber, das eine Brücke in Viareggio darstellt. Das Wasser, das unter der Brücke
hinwegzieht, erglänzt in hellem Schein. Das alte Gemäuer der Brücke ist angehaucht von der
Wärme und Glut der scheidenden Sonne, welche die mannigfaltigsten Farben hervorzaubert,
dazu noch die verschleierten Massen der Häusergruppen am Ufer und über der dunklen Silhouette
der Brücke und der Häuser das Aufleuchten und Erlöschen des Abendhimmels, So einfach das
250
DIE KUNST UNSERER ZEIT
Erwin Kurt. Garbenbinderin (Gipsmodell)
Tischen Ausdruckes gewahren wir in einigen
Arbeiten von Hermann Urban. Das
Streben dieses Malers verdient, dass die
allgemeine Aufmerksamkeit immer wieder
darauf gelenkt wird. Urban geht ganz
eigene Wege, aber nicht um etwas Be-
sonders zu sein, eine Absicht, die jeder
Originalität in den Augen anderer nun ein-
mal anzuhaften scheint. Urban darf originell
sein, weil er dazu künstlerisch im hohen
Grade befähigt ist. Es dünkt ihm lang-
weilig, nach einem bekannten Rezept all-
jährlich so und so viele Bilder zu malen.
Er sieht in jedem Bilde eine neue Aufgabe
und ein neues Problem. Mit seiner eigen-
artigen Malweise gewinnt er allen Dingen
einen eigentümlichen Ausdruck ab. Urban
ist der Künstler, der in keinem Bilde direkt-
gemalte Natur wiedergibt, sondern in seinem
Motiv an sich ist, ein Malerauge entdeckte darin eine
Welt von farbigen Erscheinungen und Wundern. Zu
welcher prächtigen dekorativen Wirkung wusste auch
Küstner einen einfachen Vorwurf, einen Wasser-
spiegel mit einer Gruppe von Pappelbäumen, um die
die Dämmerung ihre schwarzen Schatten legte, zu
steigern. Hier ist es mehr eine rein künstlerische
Absicht, die das Motiv, wie sie es in der Natur vor-
findet, umwandelt, sozusagen übersetzt, um gewisse
Bild -Wirkungen zu erzielen; dagegen gibt Karl
Schi 1 dt ein Stück Holsteinischer Landschaft wie
einen unmittelbar aufgenommenen Natureindruck
wieder. Ganz ähnlich auch Philipp Roth in seiner
westfälischen Landschaft. Eine ganz andere Auf-
fassung der landschaftlichen Natur und des male-
A.v<>/<' ]ii>iiiltiii4.c. Die Satanstöchtcr (Gipgf;ruppe)
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W. BoUKUvreau pinx.
CupyrtKiil )>} Uiaitii (Jk-iticiit 4> C-
Frühling
DIE KUNST UNSERER ZEIT
25 t
malerischen Ausdruck das Charakteristische der Erscheinungen in grosszügiger Weise festhält.
Im Spätsommer führt er in die Umgebung eines italienischen Sees oder vielmehr an die Küste.
Im Vordergrund ist es die Schönheit einer grünen blumigen Wiese, die wie von einem Wall
von Zypressen umschlossen wird. Über diese dunkle grüne Mauer schweift der Blick hinaus auf
das blaue Meer und auf die ansteigende Küste mit einem mannigfach abgestuften Berggelände.
Franz Stuck. Kämpfende Faune (Relief)
Mit Genehmijfiiii^i <tfr Ftu>toyrit|>liisclien l'inon in Munclipii
Wie die Formation dieser Hügel, die verschiedenen Pläne, sozusagen das Architektonische
des Terrains gegeben sind und doch die Impression des ersten Eindrucks gewahrt wird, darin
offenbart sich Urbans Talent von seiner besten Seite. Es ist eine Landschaftsmalerei, die auf das
Wesentliche der Erscheinung ausgeht, eine grosszügig erfasste Natur, real und ideal zugleich,
es ist das, was man in der Kunst Stil nennt. Vielleicht erreichen wir auf diesem Wege noch
einmal, was Rottmann bei seinen Freskobildern in den Arkaden vorschwebte. Wäre Rottmann
nur im Besitze dieser malerischen Ausdrucksmittel gewesen, deren sich Urban mit souveräner
Sicherheit bedient!
Die Plastik hat auf der heurigen IX. Internationalen Ausstellung im Glaspalast eine ungemein
reichhaltige und glänzende Vertretung gefunden. Über dreihundert Werke: Figuren, Gruppen, in
Stein, Bronze oder Gips sind im Vestibül und in den verschiedenen Sälen aufgestellt. Wir sehen
dramatisch bewegte, lyrisch zartgestimmte, idyllisch anmutige, genrehaft witzige Stoffe in allen
XVI 37
252
DIE KUNST UNSERER ZEIT
erdenklichen Formen behandelt. Das Motiv spielt eine grosse Rolle. Für seine Bedeutung in der
kirchlichen Kunst ist eine Arbeit von Valentin Kraus, „Unsere Erlösung", sehr bezeichnend.
Hier ist es in erster Linie das Interesse am Gegenstand, das uns anzieht und festhält. Christus
ist dargestellt als Schmerzensmensch, auf dem Kreuzesstamm zusammengekauert.
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Augimt Hudler. Dengler (Bronzierter Gips)
Auch bei einem anderen Werke, bei der Gruppe „Die Satanstöchter" des Belgiers
Rombaux, ist es ein vorwiegend stoffliches Interesse an dem rätselvollen Dasein dieser ineinander
verschlungenen Körper, das uns zuerst fesselt. Die Gruppe ist ausserdem in Marmor komponiert,
einem Material, in dem gewisse malerische Wirkungen der Form noch zum Ausdruck gebracht
werden können, die natürlich im Gipsmodell verloren gehen.
Die zwei folgenden Arbeiten zeigen uns die plastische Kunst in ihren eigentlichen Wirkungen,
wenn sie auch in der Art der Naturanschauung und im Charakter ihrer Formgebung grund-
DIE KUNST UNSERER ZEIT
253
verschieden sind. Rodin hat in der Figur des sogenannten Denicers ein Werk geschaffen, bei dem
er einmal mit etwas mehr Sorgfalt, als man bei ihm gewöhnt ist, Wert darauf legt, die Totalität
der Erscheinung in einem möglichst einheitlichen und geschlossenen Raumbild vorzuführen. Aber
dennoch wirkt die Formgebung durch ziemliche Übertreibung im Detail nicht sonderlich har-
^
Tür
An!/ifsfr Rodin. Der Denker (Bronze)
monisch und einheitlich. Die Figur lässt, obwohl sie einen sitzenden Mann in voller Ruhe darstellen
soll, in der ziemlich unbequemen Stellung jenes Gefühl der Ruhe vermissen, das in solcher
Haltung sonst im ganzen Körper ausgesprochen liegt. Viel mehr kommt dieses Moment zum Ausdruck
in der Figur „Dengler" von August Hudle r. Das Motiv verhilft noch dazu, diese Empfin-
dung zu verdeutlichen. Der Dengler sitzt auf seinem Dengel-Stock und prüft aufmerksam die
Schneide seiner Sense. Er ist ganz bei der Sache. Bei dieser Figur ist der Schwerpunkt der
ganzen Erscheinung innerhalb ihres eigenen Daseins, in ihre eigene räumliche Begrenzung gelegt.
Sie stellt ein in sich ruhendes, abgeschlossenes Ganze dar. Die Plastik findet in der Lösung
254
DIE KUNST UNSERER ZEIT
solcher Aufgaben ihre eigentlichste Bestimmung und ihr Genügen,
angewandte Kunst auf-
treten und als solche dem
Räume zum Schmucke
dienen. Dies tut sie
z. B. in dem Relief
„Kämpfende Faune" von
Stuck. Dieses Relief
wäre als Supraporte über
einer Türe oder als
Füllung in einen Kamin
eingelassen am Platze.
Die beiden anderen
Gruppen und Figuren,
das reizende „Rotkäpp-
chen mit Wolf" von Du II
und Pezold und die an-
mutige „Garbenbinderin"
von Erwin Kurz, er-
innern uns an die in
letzter Zeit in München ent-
liegt schliesslich auch die eigentliche Aufgabe und der besondere Zweck
Ilcinricli Düll II 11(1 Oeorii Pezold.
Rotkäppchen (Bekrönungsgruppe des Wolfsbrunnens
in München)
Sie kann aber auch als
standenen Zierbrunnen,
in denen die Münchener
Plastik als angewandte
Kunst so überaus origi-
nelle und reizvolle Werke
geschaffen hat. Die Rot-
käppchengruppe krönt
den neuen Brunnen am
Kosttor und die Figur der
Garbenbinderin schmückt
den erst kürzlich voll-
endeten Brunnen auf
dem Thierschplatze. Mit
solchen Werken tritt die
Plastik über den Rahmen
der Ausstellung hinaus
in unsere unmittelbare
Umgebung und sucht
Anschluss an das Leben
der Gegenwart. Und darin
aller angewandten Kunst.
Valentin Kraus. Unsere Erlösung
(Marmor)
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N Die Rinst unserer Zelt
3
K86
Bd. 16
Halb. 2
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